Es gibt diese Geschichten, die lassen eine senkrechte Zornesfalte auf meiner Stirn entstehen. Nach einiger Zeit bekomme ich Kopfschmerzen und diese lösen sich erst, wenn ich das Buch zuschlage. Die Sekte von Mariette Lindstein war genau so eine Geschichte. Nicht, weil sie mir nicht gefiel – sondern, weil sie mich permament aufregte und in Alarmbereitschaft versetzte.
Mariette Lindstein lebte selbst 25 Jahre bei Scientology, hatte also viele Jahre Zeit, um genau zu beobachten, wie es in einer Sekte zugeht. Egal, ob sie nur aus wenigen Anhängern oder aus Stars und Sternchen besteht. Und nun gibt sie Sofia Bauman, ihrer schwedischen Protagonistin, eine Stimme, um zu erzählen, wie schnell man in die Fänge einer solchen Gruppierung gerät – und wie schwer es ist, wieder hinauszufinden.
Denn als Sofia auf der Insel ankommt, zunächst als Gast und später mit einem 2-Jahres-Vertrag für den Aufbau einer kleinen Bibliothek auf dem Landsitz, da erscheint die Insel und alles, was mit ViaTerra zutun hat, noch völlig harmlos. Franz Oswald, Gründer und einziger Chef des Unternehmens, reist zu verschiedenen Vorträgen über das ganze Land, die Mitarbeiter bauen Häuser auf, in denen sie leben. Gegessen wird aus eigener Anzucht, zurück zur Natur ist das unumstößliche Motto. Doch nachdem ein Journalist statt des heißersehnten puschenden Artikels einen Verriss schreibt, ja, das Wort Sekte mehrfach in den Mund nimmt, gerät alles zusehends aus den Fugen. Mauern werden errichtet, mit Stacheldraht versehen, Wachen werden eingesetzt und niemand kann mehr ein und ausgehen, wie er möchte. Die Mitarbeiter werden beleidigt, erniedrigt, ausgehorcht und denunziert. An dieser Stelle schüttelt wohl jeder mit dem Kopf. Wieso lassen sie sich das gefallen? Sie wurden nicht entführt, sind freie Menschen, alle gegen einen und weg mit euch! Doch so einfach ist es nicht. Viele Entwicklungen kommen schleichend, hier ein Wink, da ein Schubser, dort eine neue Strafanordnung. Und jedes Mal wird gekatzbuckelt, schließlich hat man alles andere auch schon über sich ergehen lassen.
Am Ende jedes Kapitels folgen Rückblicke in eine Vergangenheit, die ein menschliches Monster offenbahren. Eines, dass unter ihnen weilt und nach weiteren Opfern giert. Eines, dass sich weiß zu verstecken, eine Maske aufzulegen. Der Bogen wird am Ende geschlagen, was man schon lange ahnte, wird bestätigt. Und ist trotzdem nicht weniger erschreckend. Die Zornesfalte wuchs von Seite zu Seite, wieso wehrt ihr euch nicht endlich, verdammt!, wollte ich ihnen zurufen. Doch ein Blick in die menschliche Vergangenheit sagt: Wir sind – mit Verlaub – allesamt dumme Herdentiere. Der Mensch lässt sich gerne führen, er lässt sich unterdrücken, die vielen Schwachen rotten sich selten zusammen, um die wenigen Starken zu besiegen. Das haben wir während der Sklaverei gesehen. Das haben wir zu Hitlers Zeiten gesehen. Das sehen wir unter jeder weiteren Diktatur, und das sehen wir auch in Sekten. Die Geschichte ist als Trilogie aufgebaut, so dass allen klar sein dürfte – das war es noch lange nicht gewesen.
Fazit
Die Entwicklung einer harmlosen Gruppierung zu einer Sekte ist gleichermaßen schleichend wie auch alarmierend, die Zuspitzung der Handlungen desaströs. Mein Puls war dauerhaft erhöht und ich habe mich schrecklich über all das aufgeregt – und doch konnte ich das Buch kaum aus der Hand nehmen.
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