Melanie Raabe hat es auch getan.
Mit ihrem neuen Roman "Die Wälder" beteiligt sich die deutsche Thrillerautorin an der aktuell wieder hochaktiven 1980er-Nostalgie-Maschinerie. Diese dient dazu, Bilder, Filme, Artefakte aus der vorletzten Dekade des letzten Jahrhunderts auszugraben, um Erinnerungen jener zu wecken, die in dieser Zeit ihre Kindheit oder Jugend verbracht haben. Der Blick ist dabei ganz bewusst verklärt, die Erzählungen werden in einem "Damals war alles besser"-Tonfall vorgetragen. Im besten Fall wärmen diese Erinnerungen das Herz, im schlechtesten Fall wird absichtlich eine emotionale Brücke über die Vernunft hinweg direkt zum Bankkonto geschlagen.
" 'Es ist zurück', dachte Nina, als sie, Tims Brief vor sich, eine halbe Stunde später wieder allein am Küchentisch saß. 'Ob ich will oder nicht.' " (S. 37)
Schon auf den ersten Seiten scheint die Autorin ihrer Leserschaft verführerisch zuzuflüstern: Hey, da gibt es ein Buch von Stephen King, das kennst du bestimmt. Darin muss sich eine kleine Gruppe als Erwachsene erneut den Schrecken ihrer Kindheit stellen.
Obwohl die Autorin doch nicht so weit geht, ihre Protagonisten auf die Suche nach einem furchteinflößenden Clown in die Kanalisation zu schicken, erfüllt diese vertraute Ausgangslage doch eine wichtige Funktion: Indem sie sich auf einen Gemeinplatz, eine bereits bekannte Geschichte bezieht, bringt sie ihre eigene über eine Abkürzung in den Kopf des Lesers. Wie auf Knopfdruck sorgen düstere Erinnerungen und ebensolche Vorahnungen für Gänsehaut. Die überschaubare Anazhl an Figuren ist rasch vorgestellt - Einzelheiten werden stückweise nachgereicht - und schon findet man sich zwischen den Seiten gefangen.
Dennoch hat es Melanie Raabe nicht nötig, sich auf die Schultern eines Riesen (oder Königs) zu stellen. Nach der kleinen Starthilfe findet sie rasch zu ihrem eigentlichen Thema - dem Gegensatz zwischen Kindheit und Erwachsenenalter, zwischen Großstadtdschungel und düstergrünem Mischwald. Der extrovertiert und unkonventionell wirkende Schreibstil wird zuänchst genutzt, die Persönlichkeit der Hauptfigur zu zeichnen. Nina ist jung, unabhängig, weltoffen, spielerisch vertraut mit den Gadgets und Werkzeugen ihrer Zeit, trittsicher zwischen Populärkultur und Beruf. Bereits für ihr Studium hat sie die Nabelschnur zum Dorf ihrer Kindheit gekappt. Der Gedanke, in die titelgebenden Wälder zurückzukehren, erfüllt sie mit Schrecken. Der Wald ist ein urtümliches, lebensfeindliches Biotop. Er ist das noch nicht urbar Gemachte, anders als die für menschliche Abläufe zurechtkonstruierte Stadt. Wenn man ein psychologisches Bild bemühen will, ist der Wald das Unbewusste, das Verdrängte. Doch Raabe erliegt nicht der Versuchung, wie es zu erwarten wäre, dörfliche Unschuld gegen urbane Dekadenz zu positionieren. Die Wahrnehmung eines Ortes und die Gefühle, die man mit diesem verbindet, hängen maßgeblich von den Erlebnissen und Erinnerungen ab. Der Wald kann sowohl ein urtümlicher Organismus sein, dessen Sprache die Menschen nicht verstehen, als auch ein Zufluchtsort:
"Der Schutz, den er ihnen bot, war ihnen plötzlich wie ein Tarnmantel erschienen, und Peter hatte sich insgeheim dazu beglückwünscht, dass er instinktiv Richtung Wald gerannt war, statt den Weg zur Straße einzuschlagen, wo Wolff ihn ohne Weiteres eingeholt und erwischt hätte." (S. 254)
Die Autorin erzählt ihre Geschichte in zwei parallelen Handlungen mit demselben Kern. In welcher Weise diese beiden miteinander verbunden sind, offenbart die Autorin erst spät im Roman. Sie dosiert ihre Informationen sehr sorgfältig, wählt genau aus, an welcher Stelle, sie welchen Hinweis plaziert. Sie beherrscht ihr Erzähltempo, wartet geduldig, bis ihre Leser alle erforderlichen Schlüsse selbst gezogen haben.
"Etwas war passiert in den Wäldern. Die Vergangenheit hatte sich auf seltsame Art mit der Gegenwart verwoben." (S. 369)
Diese Art der Zwiesprache der Erzählerinstanz mit den Rezipienten findet sich auch im Thema. Raabe doziert nicht, sondern setzt sich neben ihre Leser auf die Couch und teilt Erinnerungen an die 1980er-Jahre mit ihnen. Und schließlich, nachdem alle Rätsel gelöst sind, schiebt die Autorin die Thriller-Handlung beiseite und lädt ein, auf die zahlreichen Wege zurückzublicken, aus denen wir die Landkarte unseres Lebens gezeichnet haben. Was machst du aus deiner Zeit, scheint sie zu fragen. Was ist aus den Träumen deiner Kindheit geworden? Konntest du sie verwirklichen, oder bist du aus ihnen wie aus einem zu engen Pullover herausgewachsen? Was bist du geworden, Ärztin, Polizist, Architekt, Weltreisender wie die Figuren des Romans? Hast du die Treueschwüre dir selbst und deinen Freunden gegenüber alle eingehalten? Wohnst du noch in dem Ort, in dem du aufgewachsen bist? Falls nicht, werden die die Menschen wiedererkennen, wenn du zurückkehrst?
Ausgesprochen berührend, niemals kitschig, versorgt Melanie Raabe ihre Leser mit Gedanken, die weit über die Geschichte hinausreichen. Das Buch spricht zu jedem in seiner eigenen Sprache, es stellt Fragen, weckt Erinnerungen ... und hält gleichzeitig einen Abstand, um die Intimsphäre zu wahren.
Persönliches Fazit
"Die Wälder" ist ein spannender Psychothriller, in dem die Autorin ihr Gespür für das Timing beweist und ihre Leserinnen und Leser zu einem "trip down memory lane" einlädt.
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