Ein Rolli-Roadtrip nach Berlin? Völliger Quallenquatsch, sagt ihr? Nicht mit Rüdiger Bertram! Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie Rüdiger Bertram es schafft, aber neben seinen vielen Lesungen für Kinder und Jugendliche in ganz Deutschland und darüber hinaus, haut er auch noch ein neues Buch nach dem anderen raus. Gerade erst habe ich „Nur 300 km – Bin mit Fee in Berlin, abends zurück“ , erschienen bei cbj, beendet. Da legt er mit „Bookmän“ schon wieder sein neuestes Werk vor.
Doch nun erstmal zu Carlchen-Schlau und Fee. Carl sitzt nach einem schweren Autounfall im Rollstuhl. Sein Vater, der das Auto fuhr, macht sich schwere Vorwürfe, kann mit der Situation nicht umgehen. Carls Eltern haben sich getrennt. Während Carl nur allzu gern seine Sommerferien in einem coolen Camp für Rollstuhl-Skater verbringen würde, fährt seine Mutter mit ihm an die Ostsee! Ausgerechnet! Schon mal versucht, mit einem Rolli durch Ostseesand zu schieben!?
Als Carl jedoch den Flip-Flop von Fee an den Kopf bekommt, die von ihren viel beschäftigten Eltern für einen Tanz-Workshop in der benachbarten Jugendherberge angemeldet wurde, den sie nur zu gern schwänzt, wird alles anders. Fee kennt keine Hemmungen, anders als all die Menschen mit denen es Carl jeden Tag zu tun hat - die nicht wissen, wie sie mit einem Jungen im Rollstuhl umgehen sollen, die ihm mit Mitleid und nicht auf Augenhöhe begegnen. Fee erinnert mich an eine moderne Pippi Langstrumpf. „Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich sicher, dass ich es schaffe.“…und dabei auch noch immer als Beste, scheint ihr Motto zu sein. Und so ist es kein Wunder, dass Fee Carl dazu überredet, nach Berlin abzuhauen, damit Carl sich mit seinem Vater aussprechen kann.
Ein wilder Rolli-Roadtrip nimmt seinen Lauf. Auf ihrer Reise begegnen die beiden vielen Vorurteilen, ob nun gegenüber behinderten Menschen, Minderheiten oder Alten. Selbst Carl kann nicht leugnen, Vorurteile zu haben. Dabei wünscht er sich doch nur, dass die Menschen ein echtes Interesse an ihm hätten. Aber über Fragen, warum er im Rollstuhl sitzt und wie er sich dabei fühlt, geht das Interesse nie hinaus.
Während ihrer Reise wird die Freundschaft von Carl und Fee auf eine harte Probe gestellt. Auch Fee hat so ihre Sorgen und reist nicht ganz uneigennützig nach Berlin. (Vorsicht! Spoiler!) Sie will die Ex-Kanzlerin treffen, um die Abschiebung ihrer Freundin Jamila zu verhindern…
Rüdiger Bertram schafft es auf seine ganz eigene Weise, ein sehr sensibles Thema in den Fokus zu rücken. Auch ich als Sonderpädagogin weiß nicht immer, wie ich mit dem Thema Behinderung in Familien umgehen soll – hinschauen oder wegsehen, ansprechen oder nicht!? Das Buch ist ein Plädoyer für gesellschaftliche Teilhabe, keiner soll ausgeschlossen werden. Thematisiert wird auch Barrierefreiheit. Es sind manchmal nur kleine Details, die das Leben von Menschen im Rollstuhl erheblich behindern. Was mich beim Lesen fasziniert hat ist, wie Rüdiger Bertram es schafft zwischen seinen sehr witzigen und schlagfertigen Dialogen ernste Töne anzuschlagen. In einem Moment musste ich laut losprusten, so witzig ist die Geschichte geschrieben. Im nächsten Moment blieb mir das Lachen im Halse stecken, standen mir die Tränen in den Augen. Das ist was das Buch ausmacht. Mit einer unbeschwerten, humorvollen Leichtigkeit werden wichtige Themen angesprochen und in den Fokus gerückt. In all ihrer Wildheit, Hemmungslosigkeit, fast schon Dreistigkeit ist es doch Fee, die Carl nimmt wie er ist. Die Dinge anspricht, die sich sonst niemand traut zu fragen. Die vielleicht auch Grenzen überschreitet, aber Carl so die Möglichkeit gibt, über seine Sorgen und Gedanken zu reden, auszusprechen, was er sonst nie sagen würde.
„Nur 300 km“ ist ein tolles, gleichsam unterhaltsames wie auch tiefgründiges Buch, das ich sehr gern weiterempfehle.
Ich bedanke mich herzlich für das Rezensionsexemplar.
Leserstimmen Das sagen andere LeserInnen
Von: Kinderbuechertraumwelten
Von: Sheena
Von: Janina
Von: Stephi
Von: Danielamariaursula
Von: @lesenmitausblick
Von: Der Büchernarr