Das Herzflorett von Marica Bodrožić

Marica Bodrožić Das Herzflorett

Ein Dorf im Taunus. Eine Familie aus Dalmatien. Eine zerrissene Kindheit und eine rebellische Jugend. Die vielfach preisgekrönte Autorin Marica Bodrožić erzählt von einer jungen Frau und ihrem Weg in die Freiheit.

Pepsi liebt das Leben und den flimmernden Schlaf des Sommers. Ihre Eltern arbeiten in Hessen und tauchen nur in den Sommerferien auf dem einsamen Hof des Großvaters in Dalmatien auf. Zeitweise kommt sie auch bei anderen Verwandten unter, doch wo immer sie ist, bleibt sie fremd. Nur in der Natur fühlt sie sich aufgehoben, verbringt, fasziniert von der Sprache der Vögel am Himmel, ihre Tage barfuß im Gras. Als die Eltern sie zu ihren Geschwistern in die Einzimmerwohnung in einem Dorf im Taunus holen, will Pepsi sofort wieder weg. Die vom Putzen rissigen Hände der Mutter sind zu keiner Zärtlichkeit fähig. Der Vater beginnt seine Tage mit Schnaps. Das neue Leben hält aber zugleich Dinge bereit, zu denen das Mädchen sich wie magnetisch hingezogen fühlt. Die Welt der Bücher und Buchstaben, die deutsche Sprache, in die sie sich so plötzlich und heftig verliebt wie später in Aleksandar. Doch als sie Abitur machen und studieren will, wird ihr das verboten, weil sie kein Junge ist. Es ist wie ein Stich ins Herz, ein Abschied - und zugleich ein Neubeginn.

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Leserstimmen Das sagen andere LeserInnen

  • Von: Mario Keipert

    Gerade erst schrieb Marica Bodrožić Essays über Die Rebellion der Liebenden, nun erzählt sie einen Roman lang die Geschichte einer ganz individuellen Rebellion. In Das Herzflorett steht das Mädchen Pepsi im Mittelpunkt: wie die Autorin in Dalmatien geboren, irgendwann zu den Eltern in ein hessisches Dorf gezogen, beschreibt Bodrožić den Weg einer Außenseiterin durch das Dunkel ins Licht. Pepsis Weg ist gesäumt von seelischer und körperlicher Gewalt, von Verboten und Verfluchungen, die durchaus autobiographische Bezüge aufweisen mögen und z.T. auch in früheren Essays der Autorin geschildert wurden. Dennoch ist diese Geschichte von Sehnsucht und Aufbegehren keine bloße Illustration von schon anderswo Geschriebenem. Dafür sorgt allein schon Bodrožić’ dichte, eigenwillige Sprache. Der andere Grund ist die beeindruckende Protagonistin des Romans. „Ich glaube, dass die Welt nicht immer darauf ausgelegt ist, uns dauernd glücklich zu machen, sondern darauf, weiter zu blühen“, wird eingangs die Psychoanalytikerin Erika Freeman zitiert. Und dieses unfassbar starke Mädchen, durch deren Augen wir die 1980er und 1990er Jahre im ehemaligen Jugoslawien und in der hessischen Provinz erleben, das sieht sich Bergen von Unglück gegenüber und verliert dennoch seinen anfangs naiv wirkenden Glauben an das Gute und Schöne nicht. Dieser Glaube ist überlebenswichtig – er verdankt sich, so zeigt sich später, einer starken inneren Wachheit, eingeübt in der Begegnung mit der Natur und der Literatur. Alles beginnt mit dem in Jugoslawien erlernten Alphabet und einem Brief an die Eltern, die zu diesem Zeitpunkt schon in Hessen arbeiten, getrennt von den Kindern. Sehnsucht ist es, die Pepsi an die Eltern schreiben und schon bald zu ihnen reisen lässt. Eine Sehnsucht, die sich dann jedoch anders erfüllt als erhofft. Denn Glück, Freiheit, Stärke findet Pepsi zunehmend nur in der Schrift – in dem Lexikon, das sie findet, und später bei Rainer Maria Rilke, Anna Zwetajewa, Lew Tolstoi oder Emile Zola. Tschernobyl, die deutsche Wiedervereinigung mit dem erstarkenden Ausländerhass, der Krieg in Jugoslawien, die Strafen der Eltern – immer wieder heißt es: „Aber Pepsi wusste sich zu helfen.“ „Pepsi braucht die Bücher. Brandungen der Ruhe. Die Bücher. Beschützen sie.“ Schon früh ist das Mädchen im Fernsehen vom Fechten beeindruckt, einem Sport, der absolute Gegenwärtigkeit verlangt. Von den dort aufblitzenden Floretts hat diese beinahe absatzlose Roman mit der tiefen, meditativen Ruhe auch seinen Titel – und Pepsi eine Art Lebensmotto: „Mag man noch so oft getroffen werden, man muss wissen, wie man in die Lebendigkeit zurückkommt, in den Schritt zurück, um überhaupt sehen zu können, was genau geschieht, wenn es geschieht.“
  • Von: MarieOn

    Pepsi lebt bei ihrer Großmutter. In den Sommerferien kommen ihre Eltern zu Besuch, sitzen mit ihr unter dem Mandelbaum und freuen sich über die Zeit, die sie in ihrer Heimat verbringen. In Deutschland, wo sie arbeiten, fliegen die Tage dahin. Die Mutter putzt in Schulen, Büros und überall, wo sie schneller ist als ihre Konkurrentinnen. Pepsi vermisst ihre Geschwister, die schöne Herzmandel und den stillen Bruder. Als die muslimische Bevölkerung in Dalmatien nicht mehr gern gesehen ist, kommt sie zu einer Tante, nach deren Tod zu einer anderen. Dort bekommt sie wenig zu essen, weil die beiden Söhne der Tante gieriger sind als sie und weil Jungs wichtiger sind. Pepsi hält die Trennung von Eltern und Geschwistern kaum aus und deswegen schreibt sie ihren Eltern einen Brief. Die Eltern holen alle Kinder in den Taunus, wo sie auf engstem Raum leben. Pepsi empfindet tiefe Zärtlichkeit für die Mutter, deren rissige Hände schmerzen. Die Mutter, immer in Bewegung, kann Pepsis Zuneigung nicht erwidern, im Gegenteil, sie ist ihr lästig. Schon bald schließt Pepsi ihre Liebe hinter ihrer Brust ein, spricht trotz ihres großen Sprachverständnisses nicht und vergräbt sich in Büchern. Der Vater beginnt seinen Tag mit Schnaps und Zigaretten, die ihn grau im Gesicht und die Tapeten gelb machen. Der Umzug ins größere Fachwerkhaus bringt den Kindern keine Erleichterung. Der Vater lässt die Kinder auf Reiskörnern knien, wenn sie vorlaut waren. Die Körnchen graben sich tief in die Haut, die noch Tage danach sticht und prickelt. Fazit: Marica Bodrozic hat eine Familiengeschichte geschaffen, die im ehemaligen Jugoslawien beginnt und in Deutschland endet, wo die Eltern unter sich bleiben. Das Leben, das sie gewählt haben, ist kein Vergnügen, der Vater unterdrückt seine Traurigkeit durch Betäubung, die Mutter kompensiert ihre Einsamkeit durch Wutausbrüche. Ihr Zorn trifft vor allem die Protagonistin und gründet auf Eifersucht, auf die Intelligenz und den Freiheitsdrang des Mädchens. Ich mag den Plot und finde das Thema Balkankrise und Flucht wichtig. Zuerst hat mir die märchenartige Sprache der Autorin gefallen, die Naturbeschreibungen in Pepsis Kindheit. Ab der Hälfte des Buches hat mich der Singsang Rhythmus genervt. Die zahlreichen Adjektive: der lange lange Weg, die tiefe tiefe Traurigkeit, schöne und nährende Gedanken. Ebenso die Wortwiederholungen: Der Abschied ist ein Abschied, weil er ein Abschied ist. Jetzt muss sie gehen, das Gehen lernen, Schritt für Schritt, hätte ich nicht gebraucht. Da die Autorin aber mehrfach ausgezeichnet und ihre Bücher mehrsprachig übersetzt wurden, mag ich das als meinen eigenen Geschmack werten, den sie nicht ganz getroffen hat. Ich kann verstehen, wenn andere Leser*innen diese Erzählung als etwas Besonderes feiern.
  • Von: Tausendlexi

    Viele Bücher in Form von Gedichten, Erzählungen, Romanen und Essays hat die Autorin Marica Bodrožić schon veröffentlicht, nun erschien ihr neuester Roman > Das Herzflorett <. Und ich hoffe inständig diesem Buch gerecht zu werden, die richtigen Worte zu finden, um dieses Leuchten des Inhaltes weiterzutragen. Die Hauptperson und Erzählerin ist Pepsi. Das junge Mädchen führt uns in ihre Welt nach Dalmatien. Sie und ihre Geschwister, eine Schwester und ein Bruder wachsen die ersten Jahre ihres Lebens bei Verwandten auf. Sie werden herumgereicht, erfahren keine Liebe und ihre kleinen Mägen bleiben oftmals leer. Die Eltern leben und arbeiten in Hessen. Kommen in ihren Urlauben zu ihren Kindern, doch Eltern und Kinder bleiben sich fremd. Im Alter von neun Jahren verfasst Pepsi einen Brief an die Eltern, der den Ausschlag gibt, dass die Kinder zu ihren Eltern nach Hessen kommen. Vorerst in eine Ein-Zimmer-Wohnung. Doch Pepsis Wunsch von einem liebevollen Familienleben, darf sich nicht erfüllen. Ihre ständig arbeitenden Eltern sind ausgelaugt und zu einem Familienleben schlichtweg ungeeignet. Die Mutter, die verschiedene Putzstellen bedient und Pepsi später zum Arbeiten mitschleppt, ist eine verbitterte und gewalttätige Frau. Der Vater, ein Arbeiter und Alkoholiker, liebt seine grünen mit Schnaps befüllte Flaschen. Seine Kinder bedenkt er mit schmerzvollen Spielen, wie zum Beispiel mit bloßen Beinen auf rohem Reis zu knien. Pepsi ist eine genaue Beobachterin. Unerheblich in welchem Bereich. Die Natur, die Vögel oder das Florettfechten. Sie lernt die deutsche Sprache geflissentlich und taucht in die Welt der Bücher, ihren Schutzwall, ein. Ein Lexikon eröffnet ihr einen völlig neuen Kosmos. Jedoch immer auf der Hut vor ihren gewalttätigen und jähzornigen Eltern. Pepsi lebte, daran glaubte sie fest, in der Pluszeit, in einer Zeit, die nach vorne und zur Zukunft hinfließt und den Augenblick ins Ewige dehnen konnte, sodass aus ihm etwas Neues entstand. > Das Herzflorett < versteht sich als Bildungsroman. Ich begleitete Pepsi von ihrer Kindheit bis hin zur jungen Erwachsenen. Pepsi ist ein Kind der Sonne. Sie verliert sich nicht in dieser traumatischen Kindheit. Sie bleibt stark. Den Fokus auf das für sie Wesentliche gerichtet. Die Vögel, die Natur und die unglaubliche Fülle der literarischen Welt. Sie verfolgt ihren Weg zur Selbstbestimmtheit mit einer außergewöhnlichen Contenance. Marica Bodrožićs sprachlicher Stil ist eine Mischung aus Philosophie, gehobener Prosa mit einem Hauch von Humor und bildhaft intensiven Betrachtungen. Pepsi erzählt zwar chronologisch, lässt jedoch immer wieder diverse Rückblenden miteinfließen. Ich lese unter anderem über Nikola Tesla, Tschernobyl, dem Jugoslawienkrieg 1990 – 2001 und dem Öffnen des Eisernen Vorhangs. Doch primär bleibe ich fest bei Pepsi, die nie irgendwo dazu gehört. Nicht in ihre Familie, nicht in die äußere Welt. Nein, sie ist dieser wundervolle Mensch, der allen Widerständen trotz und in ihre Sonne des Lebens kontinuierlich schreitet. Großartig!
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