Karl Ove Knausgårds „Der Morgenstern“ ist ein monumentaler Episodenroman, angesiedelt im Universum von „Es gibt mehr Ding‘ im Himmel und auf Erden/Als Eure Schulweisheit sich träumt“ (Shakespeare, Hamlet), „In me thou seest the twilight of such day“ (nochmal Shakespeare, Sonett 73 – ich kann nichts dafür: Shakespeare kannte sich eben aus), biblischer Weisheit und „The Sixth Sense“.
Federleicht am Rand des Irrationalen schwebt Knausgårds Roman völlig entschleunigt durch die norwegische Landschaft rund um Bergen und beschreibt die kleinen, banalen, alltäglichen Leben ganz normaler, belasteter und meist nicht sonderlich sympathischer Menschen, die durch das ein oder andere verbunden sein mögen – oder eben auch nicht. Auf der Suche nach diesen (nicht-)existenten, zarten Linien der Vernetzung wird man als Leser sehr gefordert, denn der Roman ist thematisch äußerst anspruchsvoll und liest sich doch so leicht weg wie ein Norwegen-Krimi – eine große Leistung. Der Anspruch der Lektüre resultiert aus Knausgards Gedankenspielen, seinem beständigen Einflechten von Ereignissen, die merkwürdig sind und gar nicht sein können, sodass man ständig bemüht ist, einen Sinn zu erschaffen, ein Verständnis zu erlangen, das Abstruse auszugleichen, zu erklären – so ist das menschliche Gehirn schließlich geartet. Im Grunde genommen versucht Knausgård genau dies mit seinem „Morgenstern“ herauszustellen: wir können nur sehen, was wir erklären können, wir nehmen nur wahr, was wir mit unserer Sprache beschreiben können – liegt etwas außerhalb unserer Realität und Ratio, dann existiert es nicht. In genau diese Grauzone unserer Erkenntnisfähigkeit dringt der Roman zunehmend vor und liefert zahlreiche Anstöße zum (Mit-)Denken bis er zum Ende hin mit Hingabe in surreale Traumwelten im Stile von Neil Gaiman abdriftet, schließlich zwischen metaphysischen und philosophischen Reflexionen fast zum Sachbuch wird und zu einem Schluss findet, der nach einer Fortsetzung verlangt – oder eben auch nicht, denn auf viele Fragen und vor allem die eine existentielle Frage nach Leben und Tod gibt es eben einfach keine Antwort.
Ich habe diesen klugen, außergewöhnlichen Roman sehr genossen, auch wenn sich auf den knapp 900 Seiten die ein oder andere Länge, vor allem in den religiösen Ausführungen, eingeschlichen hat und ich, nachdem ich mich gerade gefreut hatte, dass Knausgård ohne übertriebene Körperlichkeit auskommt, unmittelbar eines Besseren belehrt wurde. Der Text hat mich gedanklich mitgerissen und fasziniert, vor allem auch, weil Knausgård so schreibt, wie ich es mir oft von Autoren wünsche: furchtlos, befreit und auf eine seltsame Weise auch rücksichtslos, ohne den Wunsch, seinem Leser zu gefallen – das weiß ich sehr zu schätzen. Der Roman ist eine intelligente Lektüre, die nachdenklich und unruhig macht, bereichernd, begeisternd, bedrohlich und beklemmend. Ein absoluter Lesetipp für alle, die nicht nur einfach unterhalten werden wollen, sondern sich an lose Erzählfäden trauen, keine Antworten auf Fragen erwarten, aber aus einem Roman so einiges mitnehmen möchten.
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