Es gibt etwas beim Lesen, das ich nicht mag, dass ich sogar als einen großen Nachteil bezeichnen würde. Die Endgültigkeit eines Romanendes, die Tatsache, dass ich liebgewonnene Menschen wieder verlassen muss. Klar, ich kann gedanklich bei ihnen bleiben, mir ausdenken, wie es in ihrem Leben weitergeht, aber es ist nicht das Gleiche, als wenn ich das jeweilige Buch weiter lesen würde. Bei „Die Frauen der Familie Carbonaro“ von Mario Giordano, habe ich diesen Nachteil wieder einmal erlebt, das Buch war plötzlich zu Ende und ich musste Pina, Anna, Maria und all die Anderen ziehen lassen, wozu ich nicht bereit war und es auch jetzt ein paar Tage später noch immer nicht bin.
Ich mag Geschichten, die sich über einen langen Zeitraum entwickeln, wenn verschiedene geschichtliche Ereignisse mit hinein spielen, wenn die Generationen ineinander übergehen, wenn die verschiedensten Personen Zeit und Raum bekommen, sich zu entwickeln. In „Die Frauen der Familie Carbonaro“ durfte ich alles das und noch sehr viel mehr erlesen. Ihre Geschichte beginnt mit Pina 1896 und endet mit Maria 1972, fast ein ganzes Jahrhundert Carbonaros. Von Sizilien Ende des vorletzten Jahrhunderts, über Deutschland im letzten Jahrhundert und wieder zurück nach Sizilien. Die Frauen haben Träume, Wünsche und Sehnsüchte, wachsen jedoch in einem strengen patriarchischen Gefüge auf, in dem es ihnen schwer bis unmöglich gemacht wird, nach ihren Vorstellungen zu leben und doch versuchen sie Schlupfwinkel zu finden, durch die sie hindurch und zu sich finden können. Pina wächst unter der Herrschaft ihres Vaters auf, in dessen Welt Frauen keine Rechte haben, von den Männern nach Lust und Laune benutzt und weggeschmissen werden können. Anna heiratet Nino, einen Sohn Pinas und bekommt mit ihm Maria. Anna möchte singen und sie möchte, dass ihre Kinder, besonders ihre Töchter all das werden und leben können, was sie möchten und geht mit ihnen und ihrem Mann für Jahrzehnte nach Deutschland, wo ihr Mann und Schwiegervater mit Zitrusfrüchten aus Italien handeln und selber zwischen Sizilien und München pendeln.
Während sich Pinas Mann in Deutschland eine zweite Existenz aufgebaut hat, blieb Pina in Sizilien und versuchte so gut es ihr möglich war, die Familie zusammenzuhalten, das Geschäft zu führen und sich selber nicht noch mehr zu verlieren.
Dabei immer um sie herum, die Gespenster der Vergangenheit, die Ängste vor der Zukunft und die starke Verwurzelung mit ihren Vorfahren.
Beim Lesen habe ich oft an eines meiner liebsten Bücher gedacht: „Das Geisterhaus“ von Isabel Allende. Für mich ist „Die Frauen der Familie Carbonaro“ das italienische Geisterhaus und schon alleine von daher, ist es für mich ein Herzensbuch geworden. Ich habe beim Lesen die Stärke jeder einzelnen der drei Frau bewundert. Ich bin von Sizilien nach München gereist und wieder zurück. Ich habe mich in Pinas Haus verlaufen, bin zwischen den mehr werdenden Zimmer herum gegangen und habe in jedes einzelne hinein geschaut und einen Einblick in ihr Familienleben bekommen. Ich war mit Anna und ihrer Familie in München während es zweiten Weltkrieges. Ich habe Maria ein Stück ihres Weges begleiten dürfen und mich für sie gefreut, dass sie etwas freier Leben kann, als ihre Mutter und Großmutter. Ich habe ein Familiengefüge erlebt, das trotz aller Stärke Risse hat, zerbröckelte, geflickt, ausgebessert und repariert werden musste und das ohne die Frauen der Familie Carbonaro, dieses Familiengefüge in sich zusammen gebrochen wäre. Was mich zu dem Gedanken verleitet hat, ob es nicht doch meistens die Frauen sind, die bestimmen ob Familien zusammen gehalten oder in ihre Einzelteile aufgelöst werden? Ich durfte aber auch tiefe Liebe erleben und die Tatsache, dass Söhne nicht seltener und auf andere Art nicht weniger unter der Herrschaft ihres Vaters und auch ihrer Mutter, ihre eigene Individualität gar nicht erst entdecken, geschweige denn leben können, was sich wiederum auf ihre Liebesbeziehungen auswirkt und die Entwicklung ihrer eigenen Kinder beeinflusst.
Für mich ist es ein Buch, dass mir einmal mehr aufgezeigt hat, wie stark man mit seinen Vorfahren verwurzelt ist, ob einem das nun gefällt oder nicht, ob die Beziehung schwierig bis unmöglich ist, oder harmonisch und friedlich, dass es unwahrscheinlich ist, seine Wurzeln auf Dauer verleugnen zu können und sie jeden auf die ein oder andere Weise einholen werden.
Für mich ist dieses Buch, eines der Bücher, die nicht „nur“ geschrieben wurden, sondern in welchem ich in jedem Wort glaube eine Verbindung zwischen Geschichte und Autor zu spüren, etwas sehr Tiefes auf Verwurzeltes. Als wenn diese Verbindung tiefer als bei anderen Autor*innen geht. Die Gefühle, die Abläufe, die Umstände in diesem Roman habe ich fast als plastisch empfunden, wie etwas das von Welle zu Welle übergeht und immer wieder auf mich überschwappte. Oder wie Musik, die ohne Schutz, ohne Zensor gleich ins Gehirn dringt und Gefühle anspricht, die verborgen geglaubt waren und mit denen man sich erst einmal völlig überfordert fühlt. Ähnliches erlebe ich in den Büchern von Isabel Allende.
Für mich war die Lektüre von „Die Frauen der Familie Carbonaro“ eine sehr große literarische Reise, auf der ich tief empfunden habe und aus der ich nach und nach ganz langsam wieder zurück kehre.
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