„Die Nachzüglerin“ ist ein vielschichtiges Familiendrama über eine dysfunktionale, Familie, das sich um drei Drillinge und das kleine Nesthäkchen, ihre Schwester Phoebe, die erst 17 Jahre später nach ihnen das Licht der Welt erblickte, dreht. Wir verfolgen das Leben der Oppenheimer-Drillinge, beginnend mit der Hochzeit ihrer Eltern in den 1960er Jahren bis ins Jahr 2017.
Man könnte meinen, dass die Oppenheimers einer wahren Bilderbuchfamilie gleichkommen mit ihrem scheinbar perfekten Leben als wohlhabende Familie in New York. Doch die Ehe von Johanna und Salo kriselt und als die Drillinge aufs College gehen, trifft Johanna eine folgenschwere Entscheidung: Sie verwendet die letzte, vor 17 Jahren eingefrorene Eizelle und wird nochmal schwanger. Doch wird ihr dieses Wunschkind das ersehnte Glück bringen und die Familie wieder zusammenbringen?! Oder ist es vielmehr eine Entscheidung, die Einsamkeit in all ihren Facetten nach sich zieht?!
Wir lernen Harrison, Sally und Lewyn Oppenheimer kennen, Drillinge, die sich ihre Mutter Johanna so verzweifelt gewünscht hatte. Die Geschwister teilen nicht die besondere Verbindung, die oft mit Drillingen assoziiert wird; alles, was sie verbindet, ist, dass sie im selben Haushalt leben und denselben Nachnamen tragen. So sehr ihre Mutter sich auch wünscht, dass sie eine Beziehung zueinander aufbauen, verabscheuen sich die drei Geschwister gegenseitig so enorm, dass sie sogar versuchen, ihre Verwandtschaft zu verheimlichen. Sie tun alles, um Distanz zueinander zu schaffen, und lügen sogar über die Existenz ihrer Geschwister. Doch ihre sorgfältig konstruierte Welt beginnt mit der späten Geburt ihrer Schwester Phoebe und einem tragischen Ereignis zu zerfallen, das sie letztlich dazu bringt, die wahre Bedeutung von Familie zu verstehen.
Jedes Kapitel konzentriert sich auf ein anderes Familienmitglied: Johanna, Harrison, Sally, Lewyn und Salo. Keiner dieser Charaktere ist besonders sympathisch – sie sind Gefangene ihrer Privilegien und beschäftigen sich mit Luxusproblemen der ersten Welt. Phoebe ist die Ausnahme. Trotz ihrer Unsympathie, verspürte ich dennoch den Drang, weiter über sie zu lesen und mehr über sie zu erfahren. Des Autors Jean Hanff Korelitz’ Art die Geschichte zu erzählen, fesselte mich, und eine unterschwellige dramatische Spannung hielt mich die ganze Zeit über in Atem.
Meine einziger Kritikpunkt ist, dass Johanna - sobald die Drillinge ausgezogen waren - kaum noch eine Rolle in der Geschichte spielt. Sie ist zentral, aber zugleich abwesend in der Erzählung und im Leben der Drillinge insgesamt, was für mich enttäuschend war, da sie die aktivste und interessanteste Figur ist. Ihre Sturheit, ihre Opfer und ihr Leiden sind der Auslöser für so viele wichtige Wendungen in der Handlung, und ihre Entscheidungen haben so tiefgreifende Konsequenzen, dass es schade war, schon so früh im Buch den Zugang zu ihrem Innenleben zu verlieren.
„Die Nachzüglerin“ ist ein geradliniger, ruhiger Roman mit einer komplexen Charakterstudie, die Themen wie Identität, Sexualität, Rasse, Klasse und Zugehörigkeit erkundet. Ein absoluter Pageturner – ich konnte den Roman nicht aus der Hand legen! Obwohl er fast 500 Seiten umfasst, fühlte er sich nicht lang an – im Gegenteil, ich hätte gut und gerne noch weitere 500 Seiten lesen können. Das Erzähltempo ist langsam, aber zur Story passend.
„Die Nachzüglerin“ ist ein dicker, befriedigender Schmöker voll der guten alten Familien-Dramen, wie Untreue, Geheimnisse und Erbschaftsstreitigkeiten, und er strotzt vor saftigen Neben- und Hintergrundgeschichten, in denen schlecht angepasste und auf unterschiedliche Weise unsympathische Charaktere gezwungen werden, über ihren eigenen privilegierten Horizont hinauszublicken und sich mit Themen wie Religion, Sexualität, Rasse und Ideologien auseinanderzusetzen - und Hühnern. Absolute Leseempfehlung!
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Von: Victory_of_Books