Der junge Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz macht sich nach dem Tod seines Dichtpatens Danzelot von Silbendrechsler auf in die Stadt Buchhaim. Im Gepäck hat er den Text eines unbekannten Dichters, der einst zu Danzelot kam und sein Werk ihm zeigte und auf sein Anraten hin nach Buchhaim ging, um dort sein Glück zu finden. Dieser Text war von einer solchen Qualität, daß es Hildegunst ein wichtiges Bedürfnis war, seinen Autoren ausfindig zu machen. Doch schon kurz nach seiner Ankunft in der bunten Buchstadt muß er erkennen, daß dieses Manuskript größere Geheimnisse zu bergen scheint, als der junge Lindwurm zuerst annahm. Und so findet er sich im Handumdrehen in den Katakomben von Buchheim wieder, aus denen und vor deren unheimlichen Bewohnern er jetzt zu flüchten sucht.
Die überwiegende Mehrzahl derer, die sich die Ende 2017 erschienene Graphic Novel anschaffen, werden wohl bereits die Geschichte Walter Moers gelesen oder das dazugehörige Hörbuch gehört haben. Ich zählte nur bedingt zu jener Gruppe, da ich einzig das Hörbuch auszugsweise konsumierte. Ich hatte aber einen passionierten Leser und Hõrer an meiner Seite, der mit Geduld meine Fragen zur Geschichte beantwortete. Und so war die Graphic Novel »Die Stadt der Träumenden Bücher. Teil 1: Buchheim« (Knaus) auch eher als Geschenk für eben jenen gedacht, doch gelesen war’s dann doch zuerst von mir. Man kann eben einfach nicht aus seiner Haut.
Und was tut sich einem da für eine faszinierende und irrwitzige Welt auf! Buchhaim – nur ein kleiner Teil einer gigantischen, von Moers kreierten Welt namens Zamonien – ist die Stadt für sämtliche bibliophile Wesen; diese Stadt lebt vom Literaturbetrieb, ihre Straßen gesäumt von zahlreichen Antiquariaten und Buchhandlungen, überall wuseln kleine lebende Zeitungen und Vorleser herum und selbst unter der Erde, in den Katakomben, finden sich in ihren verwinkelten Gängen unzählige Bibliotheken mit den wertvollsten Bücherschätzen, die gruslig maskierte Bücherjäger versuchen, aufzuspüren und mit Gewinn zu verkaufen.
Moers Gestalten sind aber nicht nur auf eine abgedrehte Art liebenswürdig wie die kleinen, einäugigen Buchlinge, die in den Katakomben leben, oft stellen sie auch ein kritisches und ironisches Abbild des uns bekannten Literaturbetriebes dar. Stellvertretend dafür soll Claudio Harfenstock, ein Literaturagent und bezeichnenderweise ziemlich struppiges Wildschwein, stehen, der, als Hildegunst von Mythenmetz ihm das Manuskript des unbekannten Dichters zeigt, völlig ungerührt dieses liest. Auf des Lindwurms Empörung hin, weiß Harfenstock zu erwidern:
»Wissen Sie, ich kann ein gutes Stück Literatur nicht von einem Stück Torte unterscheiden! Haha! Darum geht es in meinem Beruf auch nicht. Gute Schriftsteller sterben meistens arm. Die schlechten verdienen das Geld! Was ich suche, sind verkäufliche Nichtskönner.« (S. 37)
Auch in der Illustrierung Buchhaims wohnt das Abbild des Bücherlebens in Gestaltung und Sprache, denn man findet hier nicht nur die Giftige Gasse (ein Viertel, in dem illegale Geschäfte wie Bestellungen von Verrissen gegen unliebsame Schriftsteller üblich waren) und die Lektorenallee, auch die Bezeichnungen und Namen der Einwohner sind immer wieder eine Schau. Der Name des kleinen Buchlings Ojahnn Golgo van Fontheweg beispielsweise entpuppt sich als Anagramm Johann Wolfgang von Goethes. Hat man das einmal entdeckt, kann man nicht mehr damit aufhören, diese und jene Bezeichnung auf versteckte Verdrehungen hin zu untersuchen.
Inhaltlich ist die Graphic Novel spannend und fesselnd, mit einer gehörigen Portion Witz. Da ich, wie eingangs erwähnt, den Roman, auf dem die Graphic Novel basiert, nur auszugsweise kenne, muß ich mich auf das Urteil meines Freundes verlassen, der zwar einige Spitzfindigkeiten vermißte, im Großen und Ganzen aber die Geschichte als abgerundet betrachtet. Das ist wohl auch der guten Zusammenarbeit zwischen dem Zeichner Florian Biege und Walter Moers zu verdanken, wobei letzterer sich für die Bearbeitung der Texte verantwortlich zeigte und erste Entwürfe skizzierte, die Biege dann ausarbeitete (nachzulesen in einem Interview, das der Deutschlandfunk mit Florian Biege führte). Und das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Florian Biege schafft es, eine farbenfrohe und detailreiche Welt zu schaffen. Die Bilder leben von einem regen, scharfen Vordergrund und einem diffusen Hintergrund, was den Bildern eine großartige Dreidimensionalität verleiht und auch für das Talent Bieges spricht. Er kommt auch mit einem erstaunlich geringen Schwarzanteil in seinen Zeichnungen aus – ein Umstand, der mir, gerade nach der Lektüre anderer Graphic Novels wie »Silas Corey. Das Zarkoff-Testament« oder »Sherlock Holmes & die Vampire von London« sehr positiv auffiel, da somit Stimmungen über diverse Farbabstufungen geschaffen werden und die Bilder so sehr authentisch wirken. Ein fast schon cineastischer Effekt wird eben durch die farbliche Gestaltung geschaffen: so sind die Lindwurmfeste und Buchhaim bei Eintreffen Hildegunsts noch in hellen Farben gezeichnet, lebhaft und freundlich, doch wird, je mehr sich die Intrige um das Manuskript entspinnt, immer düsterer und bedrohlicher. In den Katakomben und Unhaim selbst gibt es meistens nur noch eine Lichtquelle, welche die Szenerie erhellt. Wenn Hildegunst selbst über Gelesenes (wie beispielsweise die Schilderungen des Bücherjägers Colophonius Regenscheins) erzählt, macht Biege das über im Sepiaton gezeichnete Panels deutlich.
Insgesamt finden sich auch fünf doppelseitige Illustrationen im Buch, die zumeist zur Illustration von großen Räumlichkeiten, wie einer Buchhandlung dienen und zahlreiche versteckte Figuren und Anspielungen. So kann man sich minutenlang mit der Betrachtung aufhalten, Ensel und Krete entdecken oder das Cover des Buches »13 ½ Leben des Käpt’n Blaubär« erspähen. Und am Ende des ersten Bandes, der mit Hildegunsts Eintreffen in der Ledernen Grotte endet, kann der Leser ein vierseitiges Panorama eben jener geheimnisvollen Wohnstätte der kleinen Buchlinge vor sich erblicken.
Die Panels sind klar strukturiert, rechteckig und der Reihe nach angeordnet und das erweist sich als zuträglich für den Erzählfluß, denn Florian Biege spielt so gekonnt mit Perspektiven in Kombination mit schmalen und breiten Panels, die ähnlich der Einstellungen in einem Film funktionieren.
Im Anhang des Buches findet sich noch ein »Glossar der erklärungsbedürftigen Begriffe der Stadt der Träumenden Bücher und Umgebung«, zusammengestellt von Anja Dollinger, von der auch die Enzyklopädie »Zamonien. Entdeckungsreise durch einen phantastischen Kontinent. Von A wie Anagrom Ataf bis Z wie Zamomin« stammt. Damit erhält man als unbedarfter Zamonien-Neuling noch ein etwas abgerundeteres Bild über Buchhaim, da es natürlich gemäß der Sache nicht möglich war, jedes noch so kleine, aber witzige Detail in die Graphic Novel einzubauen.
Ich kann auch sagen, man wird dem Begriff der Graphic Novel hier durchaus gerecht, denn es ist eine illustrierte Geschichte geworden. Nicht umsonst hat man sich für eine Zweiteilung entschieden, um auf den knapp neunzig Seiten den ersten Teil von Moers Roman so detailreich wie möglich erzählen zu können. Lesen und Betrachten der Bilder hält sich hier die Waage. Wie auch im Roman wird aus der Sicht Hildegunst von Mythenmetz’ erzählt, was die Nutzung an Sprechblasen einschränkt. Auf manchen Seiten sind Erzähltext und Illustrationen in einem solchen Wechselspiel begriffen, daß man gar nicht weiß, wessen man sich zuerst widmen sollte.
Daß Walter Moers Bücher nicht gerade zu den billigsten zeitgenössischer Belletristik gehören, ist bekannt und so mag auch hier so einige der Preis von 25,00 Euro abschrecken, doch dieser Graphic Novel merkt man die Mühen, die da hineingesteckt worden sind, an. Mich konnte sie überzeugen; mit einem wahnsinnig liebenswert gezeichneten Hildegunst von Mythenmetz, dessen Augen jederzeit größte Neugierde auf die Welt spiegeln; mit einer abgedrehten Geschichte, die immer wieder mit Augenzwinkern auf den Literaturbetrieb unserer Zeit blickt und nicht zu vergessen auch die geschickt eingeflochtenen Horrorelemente.
Band 2 wird, meines Wissens nach, mit einem interessanten Making-Of aufwarten und erscheint am 9. Januar diesen Jahres. Ich bin also gespannt (trotz meines Wissens, wie die Geschichte weitergehen wird), wie der zweite Band sein wird.
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