Eine Insel von Karen Jennings

Karen Jennings Eine Insel

Der Leuchtturmwächter Samuel lebt seit zwanzig Jahren allein auf einer Insel vor der südlichen Küste Afrikas. Abgesehen von dem Schiff, das alle zwei Wochen anlegt, um ihn zu versorgen, hat er kaum Kontakt zur Außenwelt. Dann findet er am Strand einen bewusstlosen Geflüchteten und nimmt ihn bei sich auf. Je länger sich Samuel um den Mann kümmert, desto mehr Erinnerungen kommen in ihm hoch, an Unterdrückung, Freiheitskampf, dem Verlust seiner Familie und dem Regime eines grausamen Diktators, und sein jahrzehntealtes Trauma droht die Beziehung zu seinem Schützling zu zerstören.

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Leserstimmen Das sagen andere LeserInnen

  • Von: Karola Dahl

    Im Cover kunstvoll versteckt zeichnet sich ein Gesicht aus den ausrollenden Wellen, in der Gischt des Meeres ab. Beim genauen Hinsehen findet sich auch ein einsamer Insulaner am unteren Rand, der diesem Eiland seinen persönlichen Fußabdruck nicht nur im Sand hinterlässt, nicht ganz wie Robinson Crusoe. Im Buch geht es um dekadente, korrupte Machtverhältnisse mit Diktatoren, deren Politik Menschen entwurzelt, die daraufhin in ihrem ganzen schwierigen Leben nach Identität, neuer Verortung scheinbar vergeblich suchen. Schwach, schuldbeladen und voller Reue im Alter – ohne wahre Mitmenschlichkeit und Solidarität – so entpuppt sich das Leben der Hauptfigur, das veranlasst durch das Anspülen eines rätselhaften Schiffsbrüchigen in Erinnerungsfetzen wieder hochkommt. Wie gerne wäre er ein Mensch mit Familie gewesen statt im Alter voller Angst, Engherzigkeit und Feindschaft einsam zu enden. Der auffällige Schreibstil ist teils poetisch, teils die Gesellschaft kritisierend. Insgesamt ein lohnenswertes Lesevergnügen!
  • Von: Lesereien

    Samuel arbeitet seit zwanzig Jahren als Leuchtturmwärter auf einer einsamen Insel, als eines Tages ein Mann angespült wird. Zunächst hält Samuel den Körper für einen Leichnam, doch dann bewegt sich der Mann und verändert das einsame und isolierte Leben, das Samuel auf der Insel für so lange Zeit geführt hat, nachhaltig. Die beiden Männer sprechen nicht dieselbe Sprache und sind unterschiedlicher Herkunft, doch trotzdem weckt die Ankunft des Mannes Erinnerungen in Samuel. Erinnerungen an Vertreibung, Gewalt und Ungerechtigkeit, die sein Leben geprägt haben. Als Leser hat man das Gefühl, das auf dieser Insel alles in komprimierter Form stattfindet. Sie wird zu einer Art geschlossenen Gesellschaft, in der das Schicksal des Menschen die anderen Menschen sind. Samuels Versuch, sich von der Welt abzuwenden, sich hinter einer Mauer aus Steinen zu verbarrikadieren, die er unermüdlich um die Insel herum baut, scheitert. Damit zerfällt auch die unterbewusste Mauer, die gedanklich seine Kindheits- und Jugenderinnerungen umgibt. Das Unterdrückte und Aufgestaute, aber auch der ewige Kreislauf von Gewalt, der nicht zu durchbrechen ist, dringen an die Oberfläche. Jennings erzählt mit “Eine Insel” die Geschichte eines namenlosen afrikanisches Landes, das zuerst unter der Kolonialmacht zu leiden hatte, um kurz darauf in diktatorische Strukturen zu rutschen. Und obwohl Samuel als Protagonist nicht namenlos bleibt, ist auch sein Schicksal eines unter vielen. Die Ankunft des fremden Mannes bestätigt diese Idee. Der Roman nimmt somit die Form einer Parabel an, die sich nicht auf ein Schicksal und auf eine Landesgeschichte beschränken will, sondern versucht, ihre Gültigkeit auszuweiten. Ich habe “Eine Insel” als starkes Buch empfunden, das mit Nachdruck, aber gleichzeitig nicht aufdringlich von Gewalt, Misstrauen, von der Angst vor dem Fremden, Isolation, Verlust und der Verschränkung von individuellem Schicksal und Politik erzählt. Es steckt voller Symbole, kräftiger Bilder und Szenen, die vor allem im Nachgang zum Denken anregen und dazu beitragen, das man den Roman nicht so schnell vergessen kann.
  • Von: MarcoL

    Samuel lebt seit mehr als 20 Jahren auf einer kleinen Insel als Leuchtturmwärter. Die südafrikanische Küste ist nicht weit weg, alle zwei Wochen kommt ein Versorgungsschiff, bringt das Nötigste, und ein kleiner Plausch ergibt sich auch. Das genügt Samuel völlig an sozialen Kontakten, mehr mutet sich der Siebzigjährige nicht zu. Seine Hütte ist karg, Wind und Wetter ausgeliefert, dem Verfall immer mehr preis gegeben. Vieles wird angeschwemmt, meist Unnützes, selten Brauchbares. Oftmals sind auch Leichen im Treibgut, welche er dann notdürftig bestattet, denn die Regierung am Festland kümmert es nicht. Es sind Flüchtlinge, welche auf schwerer See ihre Passage mit dem Leben bezahlten. S.12: „Wir können nicht jedes Mal auf die Insel kommen, wenn irgendwelche Ausländer auf der Flucht ertrinken. Die gehen uns nichts an.“ Eines Tages findet Samuel ein Fass, welches er gut gebrauchen kann, und einen leblosen Körper. Zuerst gilt es, das Fass zu bergen, dann würde er sich um den Toten kümmern. Doch der Mann ist nicht nicht tot, und so erbarmt sich Samuel seiner, hilft ihm so gut er kann, und würde den armen Kerl mit dem nächsten Schiff aufs Festland schicken. Die sprachliche Barriere verhindert eine Konversation, und die spärlichen Handzeichen und Gebärden führen zu Missverständnissen. Samuel bekommt Angst um sein Leben, eine alte Paranoia steigt aus seinem Inneren hervor, macht ihn krank und lässt ihn zeitweise nicht mehr klar denken. Während der Erzählung von der Insel schwenkt die Autorin zurück auf Samuels Lebensgeschichte. Von seiner Kindheit, geprägt durch Armut und soziale Abgeschiedenheit. Das Land stöhnte unter der Kolonialmacht, die Unabhängigkeit machte es nicht viel besser. Der Präsident wurde gestürzt, ein Diktator übernahm die komplette Kontrolle über den kleinen Staat. Es gab Widerstandsbewegungen – und viele Gefangene und Tote. Mehr erzähle ich nicht … selber lesen!, denn dieses Buch ist ein wahrer Pageturner, brillant und eiskalt erzählt. Jennings zeichnet ein sehr scharfes Portrait von Samuel und seinen Lebensumständen. Subtil und unterschwellig werden nicht nur Regime, sondern die ganze globale Lebensweise, welche den Planeten an die Wand fährt, an den Pranger gestellt. Die Menschheit schottet sich selber ab, lebt wie Samuel, ohne Empathie, ausländerfeindlich. Um die armen Geflüchteten will sich niemand kümmern, sie sind ein unerwünschtes Treibgut im Meer der Gesellschaft. S.66: „Und heute sagt uns die Landkarte, wer wir sind und wo wir sind, aber uns hat nie einer gefragt, ob das auch stimmt.“ Das Buch erschien im Original (An Island) 2019 und war für den Booker Prize nominiert – sehr zu recht, würde ich sagen. Es ist der erste Roman (von vier) der Autorin, welcher ins Deutsche übersetzt worden ist (bitte mehr davon). Absolute Leseempfehlung für dieses Lesehighlight.