Wie soll man etwas zu einem Roman sagen, wenn jedes Wort ein Wort zu viel ist? Wenn die Verwirrung des Lesers (und der Akteure) Programm und besonderer Clou der Geschichte ist?
Ich hatte bereits 75 % des Hörbuchs gelauscht, als ich immer noch nicht wusste, ob ich gerade wirklich eine Dystopie lese oder die Geschichte des Bewohners einer psychiatrischen Einrichtung oder ob Conin mich hier an simplen (Alb-)Träumen unseres Protagonisten teilhaben lässt. Manchmal kam ich mir vor, als befände ich mich in einem Film von M. Night Shyamalan oder Christopher Nolan, dann wieder mutmaßte ich, dass ich mich in einem ähnlichen Weltenkonzept befände wie den "Maze Runner"-Büchern oder denen von Veronica Roth ("Die Bestimmung"). Und irgendwie ist "Ferryman" alles davon.
Dass ich mich trotz all dieser Verwirrung nicht vom Lesen dieses wirklich umfangreichen Buches habe abbringen lassen, spricht für die unglaubliche Qualität der Geschichte und die kreativen Ideen und die tolle Schreibe des US-amerikanischen Autors Justin Cronin. Cronin wurde 2001 für sein Erstlingswerk "Mary and O’Neil" mit dem Pen Award der Hemingway Foundation ausgezeichnet. Wirklich bekannt wurde er aber 2010 durch den Auftaktband zu einer Scifi-/Vampirtrilogie – "Der Übergang" –, durch die er bewies, dass er komplexe (und umfangreiche!) Welten erschaffen kann.
Protagonist dieser neuen, ungewöhnlichen Geschichte ist der 42-jährige Procter Bennett. Er lebt in einem aus drei Inseln bestehenden Inselstaat – auf einer Insel leben die Wohlhabenden, die jedoch keine Kinder bekommen können, sondern „neu gebootet“ werden; diese neuen „Kinder“, die den unbeschriebenen Seiten eines Buches ähneln, kommen im Alter von 16 Jahren zu ihren Vormünder-Ehepaaren; der Begriff „Eltern“ wird tatsächlich in diesem Kontext vermieden. Bedient werden sie von Menschen, die auf der zweiten Insel – Annex – leben und im Gegensatz zu ihnen ganz normal Kinder zeugen und großziehen können. Insel Nr. 3 ist die Nursery. Hier finden sich die Personen ein – teils freiwillig, teils auch nicht –, deren implantierter „Lebensmesser“ unter 10 % liegt. Sie werden auf der Insel neu gebootet – bekommen einen jungen Körper und beginnen ihr Leben, frei von Erinnerungen, aufs Neue.
Procters zufriedenes, wenn auch etwas eintöniges Leben gerät durcheinander, als er einen Verlust hinnehmen muss und die Botschaft erhält, dass die Welt nicht die Welt ist. Das ist dann auch der Augenblick, in dem Bennett anfängt, sein Leben bzw. seine Existenz zu hinterfragen – der Moment, ab dem er eine Bedrohung für den schönen Schein der künstlichen Welt darstellt.
Der Leser stürzt wie Proctor in der Folgezeit von einer Verwirrung in die nächste, und jedes Mal, wenn er glaubt, dass er die Story durchschaut hat, belehrt Cronin ihn eines Besseren. Der Beginn der Geschichte ist darüber hinaus etwas holprig, und man muss sich erst einmal in die künstliche, trostlose Welt einfinden, erkennt aber nach und nach, dass dies „System“ hat. Stück für Stück erschließt sich ihm dann vor allem in der zweiten Hälfte des Buches eine reale Welt voller menschlicher Gefühle, Liebe und Verlust.
Interessant übrigens auch der wiederholte Wechsel zwischen einem persönlichen Ich-Erzähler und einer auktorialen Erzählweise, was sicher für den einen oder anderen Leser sehr ungewöhnlich ist, aber von Cronin wunderbar umgesetzt und eingesetzt wird.
Über das Hörbuch
Gelesen wird das Hörbuch zu "Ferryman – Der Tod ist nur der Anfang" von David Nathan und Rike Schmid.
David Nathan (*1971) ist als Synchronsprecher z. B. die deutsche Stimme von Johnny Depp (Jack Sparrow), Nathan Fillion (Firefly), Paul Walker (The Fast and the Furious) oder Christian Bale. Darüber hinaus fungiert er aber auch als Sprecher vieler Hörbücher diverser Romane von Stephen King, Guillermo del Toros Saat-Trilogie oder Ernest Clines Bestseller Ready Player One – und er ist m. E. einer der besten Sprecher, die wir in Deutschland haben! Nathan gelingt es von Beginn an, den Zuhörer in seinen Bann zu ziehen, wenn er den Teil der Geschichte liest, die aus der Perspektive von Ich-Erzähler Procter erzählt wird.
Rike Schmid (*1979) ist aus Theater, Kino und TV bekannt. Als Hörbuchsprecherin las sie u. a. den Bestseller Girl on the Train und In Aufruhr von Inga Vesper ein. Sie zeichnet für die Kapitel der Geschichte verantwortlich, die von einem auktorialen Erzähler geschildert werden.
Mein Fazit
Es gibt viele Bücher, die das Grundthema dieser Geschichte behandeln (und damit meine ich nicht die Klimakrise oder die Machtgier der Menschen). Aber Justin Cronin gelingt es in "Ferryman", sich dem bewegenden Thema auf ungewöhnliche, kreative Weise zu nähern. Der Leser, die Leserin braucht einen langen Atem für dieses Buch, wird aber dann mit einem actionreichen Finale beschenkt. Und mit einer Geschichte, die nachhallt. Unbedingte Leseempfehlung!
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