Maifliegenzeit von Matthias Jügler

Matthias Jügler Maifliegenzeit

»Feinfühlig und zugleich kraftvoll erzählt Matthias Jügler in diesem spannenden Roman davon, dass die Vergangenheit nie vorbei ist.« Julia Schoch

Für Katrin und Hans wird der Alptraum aller Eltern wahr: Nach der Geburt verlieren sie noch im Krankenhaus unweit von Leipzig ihr erstes Kind – und kurz darauf auch sich als Paar. Denn Katrin quälen Zweifel an der Darstellung der Ärzte, Zweifel, von denen Hans nichts wissen will. Als Katrin Jahre später stirbt, wird klar, dass sie mit ihren Befürchtungen womöglich Recht hatte. Bei seinen Recherchen, die ihn tief in die Geschichte der DDR führen, stößt Hans auf Ungereimtheiten und eine Mauer des Schweigens. Klären kann er all seine Fragen in Zusammenhang mit dem Tod des Säuglings nicht, doch der Gedanke daran, in einem entscheidenden Moment seines Lebens versagt, etwas versäumt, einen Fehler begangen zu haben, lässt ihn künftig nicht mehr los. Da klingelt eines Tages das Telefon und sein Sohn ist am Apparat. Aufgewachsen in einer Adoptivfamilie, unterscheidet sich seine Vorstellung von der Vergangenheit grundlegend von dem, was Hans ihm erzählt. Wird sich die Kluft, die das Leben in einem Unrechtsstaat und vierzig fehlende gemeinsame Jahre gerissen haben, wieder schließen lassen?

Matthias Jügler zeichnet das bewegende Porträt eines traumatischen Verlustes, erzählt von folgenschweren Zweifeln, von der Kraft des Neubeginns und dem heilsamen Erleben der Natur. Ein feinsinniger Familienroman über ein dunkles Kapitel ostdeutscher Geschichte. – »Wahrhaftig und voller Hoffnung.« Anne Rabe

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Leserstimmen Das sagen andere LeserInnen

  • Von: Martina

    "𝑴𝒂𝒊𝒇𝒍𝒊𝒆𝒈𝒆𝒏𝒛𝒆𝒊𝒕" 𝒗𝒐𝒏 𝑴𝒂𝒕𝒕𝒉𝒊𝒂𝒔 𝑱ü𝒈𝒍𝒆𝒓: 𝑬𝒊𝒏 𝒗𝒆𝒓𝒍𝒐𝒓𝒆𝒏𝒆𝒓 𝑺𝒐𝒉𝒏, 𝒆𝒊𝒏 𝒗𝒆𝒓𝒔𝒄𝒉𝒘𝒊𝒆𝒈𝒆𝒏𝒆𝒔 𝑼𝒏𝒓𝒆𝒄𝒉𝒕 𝒖𝒏𝒅 𝒅𝒊𝒆 𝑴𝒂𝒄𝒉𝒕 𝒅𝒆𝒓 𝑵𝒂𝒕𝒖𝒓, 𝑷𝒆𝒏𝒈𝒖𝒊𝒏 𝑽𝒆𝒓𝒍𝒂𝒈 2024 Matthias Jügler legt mit Maifliegenzeit einen Roman vor, der die Leserinnen und Leser auf eine emotionale Reise durch die Tiefen der menschlichen Seele und die Schattenseiten der DDR-Geschichte mitnimmt. Es ist eine Geschichte über Verlust, Schuld und die Hoffnung auf einen Neuanfang – erzählt mit einer Feinfühligkeit und Intensität, die lange nachhallt. Der Protagonist Hans führt ein beschauliches Leben nahe Leipzig. Als pensionierter Lehrer und leidenschaftlicher Angler hat er sich in die Ruhe der Natur zurückgezogen. Seine Tage verbringt er am Fluss, wo die Zeit stillzustehen scheint und die Maifliegen ihm einen jährlichen Rhythmus vorgeben. Doch die Idylle trügt. Unter der Oberfläche lauern Erinnerungen und Geheimnisse, die er seit Jahrzehnten zu verdrängen versucht. Vor vierzig Jahren wurde Hans' Leben durch eine Tragödie erschüttert: Sein Sohn, Daniel, soll kurz nach der Geburt verstorben sein. Für seine Frau Katrin beginnt damit ein Albtraum aus Zweifeln und Verdächtigungen. Sie spürt instinktiv, dass etwas nicht stimmt, doch Hans verschließt sich ihren Sorgen. Er klammert sich an die offizielle Version der Ärzte und versucht, den Schmerz in Schweigen zu hüllen. Dieses Schweigen wird zum Keil zwischen ihnen, und schließlich zerbricht ihre Ehe daran. Jahre später, nach Katrins Tod, holt die Vergangenheit Hans endgültig ein. Ein unerwarteter Anruf reißt die alten Wunden wieder auf: Am anderen Ende der Leitung meldet sich sein Sohn. Daniel – oder Martin, wie er nun heißt – lebt. Aufgewachsen in einer Adoptivfamilie, konfrontiert er Hans mit einer ganz anderen Version ihrer gemeinsamen Geschichte. Zwischen Vater und Sohn öffnet sich eine Kluft aus Misstrauen, Schmerz und unverarbeiteten Emotionen. Jügler gelingt es meisterhaft, die komplexen Gefühle seiner Figuren greifbar zu machen. Hans ist kein Held, sondern ein Mensch, der mit seiner eigenen Feigheit und seinen Versäumnissen ringt. Sein Rückzug in die Natur ist sowohl Flucht als auch Suche nach Trost. Die detaillierten Beschreibungen der Flusslandschaften und des Angelns sind mehr als bloße Kulisse; sie spiegeln Hans' inneren Zustand wider. Die Maifliegen, die nach langer Zeit im Verborgenen plötzlich an die Oberfläche dringen, werden zur Metapher für die aufbrechenden Geheimnisse und unterdrückten Gefühle. Katrin hingegen verkörpert den unbeirrbaren Willen, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Ihre Zweifel an der Darstellung der Ärzte sind der Motor, der die Handlung vorantreibt. Sie steht für die Opfer eines Systems, das individuelle Schicksale zugunsten ideologischer Ziele missachtet hat. Durch ihre Augen erleben wir die Ohnmacht und Verzweiflung, die entstehen, wenn Institutionen das Vertrauen der Menschen missbrauchen. Die Begegnung zwischen Hans und seinem erwachsenen Sohn ist von Spannungen und Missverständnissen geprägt. Martin hat sein Leben lang geglaubt, von seinen leiblichen Eltern verlassen worden zu sein. Für ihn ist Hans ein Fremder, vielleicht sogar ein Gegner. Die Gespräche zwischen ihnen sind von unausgesprochenen Vorwürfen und der Suche nach Identität geprägt. Jügler zeigt hier eindrucksvoll, wie tiefgreifend die Auswirkungen von Lügen und Vertuschungen sein können – nicht nur auf das Leben der unmittelbar Betroffenen, sondern auch auf zukünftige Generationen. Der Roman wirft wichtige Fragen auf: Wie geht man mit einer Vergangenheit um, die auf Lügen basiert? Kann es Vergebung geben, wenn die Wahrheit so lange verborgen blieb? Und wie findet man zurück zu sich selbst, wenn die Grundlagen des eigenen Lebens erschüttert werden? Matthias Jügler nutzt die Geschichte von Hans und Martin, um ein dunkles Kapitel der DDR-Geschichte zu beleuchten. Die Praxis, Neugeborene ihren Eltern zu entreißen und zur Adoption freizugeben, ist historisch belegt und wurde lange verschwiegen. Jügler verarbeitet diese Thematik ohne Pathos, aber mit großer Eindringlichkeit. Er zeigt die systematische Missachtung individueller Rechte und die tiefen seelischen Wunden, die dadurch entstanden sind. Der Schreibstil des Autors ist geprägt von Klarheit und Präzision. Die Sprache ist einfach, aber voller Poesie. Die Naturbeschreibungen sind so lebendig, dass man das Rauschen des Flusses und das Summen der Maifliegen förmlich hören kann. Gleichzeitig gelingt es Jügler, die innere Zerrissenheit seiner Figuren ohne melodramatische Überhöhung darzustellen. Die subtile Ironie, die in manchen Dialogen mitschwingt, unterstreicht die Absurdität der Situation, ohne die Ernsthaftigkeit des Themas zu untergraben. Ein zentrales Motiv des Romans ist das Schweigen – sowohl das persönliche Schweigen zwischen Hans und Katrin als auch das kollektive Schweigen der Gesellschaft über die Verbrechen der Vergangenheit. Dieses Schweigen wirkt wie ein Gift, das Beziehungen zerstört und die Heilung verhindert. Erst als Hans beginnt, sich seiner Schuld zu stellen und das Gespräch mit seinem Sohn sucht, öffnet sich ein Weg zur möglichen Versöhnung. Die Stärke des Buches liegt in seiner Vielschichtigkeit. Es ist nicht nur eine Familiengeschichte, sondern auch ein politischer Roman, ein psychologisches Porträt und eine Hommage an die Natur. Jügler verwebt diese Ebenen zu einem dichten Geflecht, das den Leser von der ersten bis zur letzten Seite fesselt. Allerdings gibt es auch Momente, in denen man sich eine intensivere Auseinandersetzung mit bestimmten Aspekten gewünscht hätte. Die Perspektive von Martin bleibt teilweise undeutlich, seine inneren Konflikte werden weniger beleuchtet als die seines Vaters. Auch das Verhältnis zwischen Hans und Anne, seiner neuen Partnerin, hätte mehr Tiefe vertragen können. Sie bleibt oft im Hintergrund, obwohl sie eine wichtige Rolle in Hans' Leben spielt. Trotz dieser kleinen Schwächen ist Maifliegenzeit ein beeindruckendes Werk, das wichtige Themen aufgreift und zum Nachdenken anregt. Es zeigt, wie eng persönliche Schicksale mit historischen Entwicklungen verwoben sind und wie die Vergangenheit in die Gegenwart hineinwirkt. Fazit und Empfehlung Matthias Jügler hat mit Maifliegenzeit einen Roman geschaffen, der unter die Haut geht. Die Geschichte von Hans und seinem verlorenen Sohn ist bewegend, aufwühlend und von zeitloser Relevanz. Der Autor verbindet eine packende Handlung mit tiefgehenden Charakterstudien und atmosphärischen Beschreibungen. Für Leserinnen und Leser, die sich für deutsche Geschichte, Familiengeschichten und psychologisch fein gezeichnete Romane interessieren, ist dieses Buch eine klare Empfehlung. Es bietet nicht nur spannende Unterhaltung, sondern auch wertvolle Einsichten in menschliche Abgründe und die Auswirkungen politischer Systeme auf das Individuum. Über den Autor Matthias Jügler wurde 1984 in Halle (Saale) geboren und zählt zu den herausragenden Stimmen der jüngeren deutschen Literatur. Obwohl er die DDR selbst nur als Kind erlebt hat, setzt er sich intensiv mit ihrer Geschichte auseinander. Seine Fähigkeit, historische Themen mit persönlicher Tiefe zu verbinden, zeichnet seine Werke aus. Mit Maifliegenzeit beweist er erneut sein Gespür für brisante Themen und menschliche Schicksale.
  • Von: Snowbird

    Mit „Maifliegenzeit“, dem 3. Roman von Matthias Jügler, habe ich mich nun zum zweiten Mal mit Zwangsadoptionen in der DDR befasst. Doch hier geht es um mehr als das. Die Kinder von Republikflüchtlingen, deren Fluchtversuch gescheitert war, wurden gegen den elterlichen Willen vom Staat zur Adoption freigegeben. Jüglers Roman befasst sich jedoch mit der Geschichte eines für tot erklärten Säuglings, der bei Adoptiveltern aufwuchs. Hans und Katrin werden Ende der 70er Jahre Eltern eines Jungen, der kurz nach der Geburt verstirbt. Katrin hat von Anfang an Zeifel am Tod ihres Sohnes und glaubt, dass etwas nicht stimmt. Hans dagegen kann sich das nicht vorstellen und hält Katrin für besessen von der Idee, ihr Sohn sei noch am Leben. Die Beziehung zerbricht. Nach dem Ende der DDR stellt der inzwischen pensionierte Lehrer Nachforschungen an, stößt dabei auf eine Spur, es gibt Ungereimtheiten, doch gelingen will ihm die Aufklärung nicht. Dazu mag beitragen, dass alle Beteiligten zu diesem Zeitpunkt noch am Leben und im Amt sind. Das hatten wir doch schon einmal im vergangenen Jahrhundert. Interessant finde ich, dass Jügler sein Thema aus der Perspektive des Vaters angeht. Eines Vaters, der sich längst damit arrangiert hat, die Wahrheit nicht zu ergründen und sich immer wieder in seine Leidenschaft des Angelns flüchtet, die ihn erdet. Etwa die Hälfte des Buches befasst sich mit detailliertem Angel- und Fischwissen. Ich habe nicht gewusst, dass sich das Leben vieler Fische so sehr im Verborgenen abspielt. So kann man diesen Handlungsstrang als Metaebene betrachten, denn auch Hans weiß 40 Jahre lang nicht, was tatsächlich passiert ist. Deshalb dürfte das Angeln auch ein Katalysator für ihn sein, der es ihm ermöglicht hat, durchs Leben zu kommen. Jüglers Buch hat hohe Wellen geschlagen. Im Mai hat er eine Lesung beim „Haus des Buches“ in Leipzig abgesagt, weil der Veranstalter aufgrund einer Aussage in der Nachbemerkung Belege für vorgetäuschte Säuglingstode in der DDR von ihm gefordert hat. Es gibt eine „Interessengemeinschaft gestohlener Kinder der DDR“, die von 2000 Verdachtsfällen ausgeht. Jüglers Figuren sind fiktiv, aber die Idee ist einem tatsächlichen Fall nachempfunden. Mich hat dieses Buch sehr berührt und unglaublich wütend und traurig gemacht. Trotzdem muss es gelesen werden. Ich rate zu.
  • Von: Letteratura

    Katrin und Hans erfahren kurz nach der Geburt ihres Sohnes Daniel im Krankenhaus, dass der Junge nicht mehr lebt. Es sind die späten 70er Jahre und wir befinden uns in der DDR. Die beiden bekommen ihr Kind nicht zu sehen, doch es gibt ein Grab für den Säugling, das Hans selbst aushebt. 40 Jahre später. Die Ehe von Katrin und Hans zerbrach nur kurze Zeit nach dem Verlust ihres Sohnes. Und zwar auch an dem Umstand, dass Katrin sich weigerte, zu glauben, dass ihr Sohn nicht mehr lebte. Sie erinnerte sich an seine lauten, in ihren Ohren gesund klingenden Schreie, sie hatte im Gefühl, dass man sie belog. Hans versuchte immer wieder, sie zu beschwichtigen, versuchte, sie dazu zu bewegen, die Wahrheit endlich anzuerkennen. Die Distanz zwischen den beiden wuchs schnell, Katrin zog bald darauf aus. Ein paar Jahre später starb sie an Krebs. Inzwischen ist Hans über 60, mit seiner Freundin Anne lebt er zusammen in dem Haus, das er von seinen Eltern geerbt hat und das er nach dem Verlust seiner Familie eigentlich hatte verkaufen wollen. Katrin hatte ihn vor ihrem Tod gebeten, nicht wegzusehen, falls es doch noch Anhaltspunkte dafür geben würde, dass Daniel noch am Leben sein könnte. Und tatsächlich überreicht Anne Hans eines Tages einen Zettel mit der Telefonnummer seines Sohnes. „Maifliegenzeit“ ist fiktiv, doch Matthias Jügler verarbeitet in seinem Kurzroman, was es wirklich gegeben hat, auch wenn bisher nur wenige Fälle wirklich aufgeklärt sind: In der DDR wurden Neugeborene den Eltern weggenommen mit der Lüge, die Kinder seien verstorben, wurden dann aber zur Adoption an andere Paaren gegeben. Im Nachwort ist zu lesen, dass die Zahl der Verdachtsfälle bei 2000 liegt. Jügler findet eine verknappte Sprache für seinen Roman, er erzählt klar und sehr reduziert. Neben der Suche nach Daniel findet eigentlich nur das Angeln noch Platz in „Maifliegenzeit“. Hans hat es von seinem Vater gelernt und nie damit aufgehört, er wünscht sich, diese Tradition mit seinem Sohn weiterführen zu können. Ich bin keine große Freundin von Naturbeschreibungen und mit Angeln kann ich so gar nichts anfangen, daher haben mich diese Passagen nicht abholen können. Auch die recht offensichtliche Symbolik war mir etwas zu gewollt. Ich empfand den gesamten Roman recht kühl, was einerseits seinen insgesamt sehr zurückgenommenen und unaufgeregten Ton stützt, auf der anderen Seite aber eine große Distanz vor allem zu Hans aufbaute. Während ich mir bei umfangreichen Romanen fast immer wünsche, man hätte Redundanzen weggekürzt, um der Geschichte mehr Dringlichkeit zu verleihen, hätte ich mir hier mehr Seiten gewünscht, mehr Nebengeräusche, mehr Futter rund um Hans und seine unglaubliche Geschichte. Letztlich zeugt all dies aber nur von meinem persönlichen Geschmack und viele Leser:innen werden an „Maifliegenzeit“ genau das mögen, was nicht zu meinen Lesevorlieben gepasst hat.
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