Nachleben von Abdulrazak Gurnah

Abdulrazak Gurnah Nachleben

Der aktuelle Roman des Literaturnobelpreisträgers erstmals auf Deutsch: Eine erschütternde, generationsübergreifende Saga über Krieg und Liebe zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Ilyas ist elf, als er sein Zuhause an der ostafrikanischen Küste verlässt und für die deutschen Kolonialtruppen zwangsrekrutiert wird. Jahre später findet er die Hütte seiner Familie verlassen und seine kleinen Schwester Afiya bei Fremden, die sie schlecht behandeln. Auch ein anderer junger Mann kehrt in diesen Tagen zurück: Hamza hatte sich freiwillig den deutschen Truppen angeschlossen. Mit nichts als den Kleidern am Leib sucht er nun Arbeit und Sicherheit – und findet die Liebe der klugen Afiya. Während das Schicksal die jungen Menschen zusammenführt, während sie sich verlieben und versuchen, mit den dunklen Schatten der Vergangenheit zu leben, rückt aus Europa ein weiterer Weltkrieg in bedrohliche Nähe.

Abdulrazak Gurnah wurde 2021 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. »Nachleben« war nominiert für den Walter Scott Prize und den Orwell Prize for Fiction.

»Gurnah erzählt verdammt großartige Geschichten.« DIE ZEIT

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Leserstimmen Das sagen andere LeserInnen

  • Von: nil_liest

    Was für ein sympathischer Mann der Literaturnobelpreisträger Abdulrazak Gurnah ist! Ich habe ihn in diesem Jahr auf der Buchmesse (2022) zweimal erleben dürfen und er hat mich tief beeindruckt. Der dritte Roman ist nun auch auf Deutsch erschienen: Nachleben. Eva Bonné hat ihn vortrefflich übersetzt und alle Feinheiten gemeistert! Erzählt in klassischer Manier nimmt uns Gurnah mit auf eine Reise in die Vergangenheit und arbeitet die koloniale Besetzung Ostafrikas auf, besonders eine Gegend die sich heute in Tansania befindet. Eine Region aus der Gurnah selbst stammt. ‚ Nachleben‘ legt sein Augenmerkt auf die deutsche koloniale Besetzung von 1885 bis 1918 mit dem Umbruch während des 1. Weltkrieges und die folgende britische Verwaltung. Gurnah entwirft ein Panorama an Geschichten, die erst lose wirken, aber alle ineinandergreifen. Vom jungen Mann Iilyas, der sich den Askari anschließt und mit den Deutschen kämpft. Er verschwindet und wird Jahre später in Deutschland aufgespürt. Er lässt eine Schwester zurück, die bei Khalifa unterkommt, einem indischstämmigen Banker. Und dann ist da noch eine wichtige Figur: Hamza, ein bildhübscher Junge, den sich ein deutscher Offizier als Assistent krallt. Gurnah beschreibt und bildet ab, er urteilt nicht und gibt keine Meinungen wieder. Eine sanfte Art der Erzählung die eine vielschichte Art der Betrachtung zulässt. Der Blickwinkel der lokalen Unterjochten, es ist aus der Sicht der Afrikaner geschrieben. Es wird die ambivalente Grundeinstellung der kolonialen Mächte deutlich. Einerseits bringen sie Bildung, andererseits verheizen sie das Volk in ihren Kriegen. Mich hat der Roman stark bereichert, war mir die Kolonialherrschaft der Deutschen in Ostafrika nicht so präsent und vor allem die Askari kein Begriff. Hervorragend erzählt und anregend sich mit den historischen Gegebenheiten auseinanderzusetzen.
  • Von: Frau Lehmann liest

    Als Abdulrazak Gurnah 2021 den Literaturnobelpreis gewann, gehörte ich zu der Schar, die irritiert ausriefen "Wer?". Zusätzlich war kein übersetzter Titel lieferbar. Bezeichnend für ein Land und ein Volk, die so eines überhaupt nicht aufarbeiten wollen: Deutschlands Kolonien in Ostafrika. Letztere bzw überhaupt Kolonialgeschichte zieht sich aber als Thema durch Gurnahs Werk. In "Nachleben" führt Gurnah Charaktere zusammen, die alle in irgendeiner Form von der weißen Herrschaft und dem Ersten Weltkrieg betroffen und versehrt wurden. Ilyas wird zwangsrekrutiert, seine Schwester Afiya wächst bei Fremden auf, Hamza kämpft für die deutschen Truppen und wird schwer verletzt. Sie alle versuchen, sich "danach" ein normales Leben aufzubauen, mit Sicherheiten, Familie, einem Dach über dem Kopf. Es ist wichtig, dass solche Bücher hier gelesen werden, dass das Thema in deutsche Schullehrpläne aufgenommen und kritisch beleuchtet wird, dass die Brutalität der deutschen Herrschaft aufgearbeitet wird. Gut also, dass man Gurnah nun auf Deutsch lesen kann. Sehr gut, wenn der Nobelpreis dazu führt, dass hoffentlich bald niemand mehr fragt "wer?"...
  • Von: Literaturreich

    Seitdem der britisch-tansanische Autor Abdulrazak Gurnah im vergangenen Jahr den Literaturnobelpreis verliehen bekommen hat, sind bereits drei seiner auf Deutsch zuvor nur noch antiquarisch zu erhaltenden Roman neu im Penguin Verlag erschienen, das zuletzt erschienene Nachleben (Original 2020) in einer neuen Übertragung durch Eva Bonné. Die vorherigen Veröffentlichungen (Das verlorene Paradies und Ferne Gestade) haben genau wie der im kommenden Frühjahr erscheinende Titel Die Abtrünnigen ihre alten Übersetzungen beibehalten (lediglich durchgesehen), die von drei jeweils unterschiedlichen Übersetzer:innen stammen. Vier Bücher, vier Übersetzer:innen – das ist zwar verständlich (man will schnell liefern), aber auch bedauerlich. Der Atem der drei Verlage bei den drei zwischen 1992 und 2006 erstmals auf Deutsch veröffentlichten Titeln war anscheinend nicht lang genug, um dem Autor treu zu bleiben. Umso besser, dass sich nun der Penguin Verlag der Werke annimmt. Mit Nachleben liegt nun der zweite dezidiert historische Roman von Abdulrazak Gurnah vor, nachdem er in Ferne Gestade zwar auch mit historischem Bezug und allerlei Rückblenden ein modernes Fluchtschicksal zum Thema wählte. Nachleben nun kann man fast als eine Fortsetzung von Das verlorene Paradies lesen, da es zeitlich anknüpft und Ort und ähnliches Setting teilt. Wir befinden uns Anfang des 20. Jahrhunderts im damaligen Deutsch-Ostafrika. Das Deutsche Kaiserreich hat sich seit 1885 mit Verve in sein Kolonialabenteuer gestürzt und den späten Einstieg gegenüber Konkurrenzmächten wie Großbritannien, Frankreich oder Spanien durch besonderen Eifer zu kompensieren versucht. Dieser „Eifer“ zeigte sich leider in einer unglaublichen Brutalität und Rücksichtslosigkeit gegenüber der einheimischen Bevölkerung. "In den fast dreißig Jahren, die sie das Land nun besetzen, haben die Deutschen so viele Menschen getötet, dass die Erde von Schädeln und Knochen bedeckt und von Blut durchtränkt ist“. Dieses brutale Vorgehen unterschied sich doch sehr vom deutlich moderneren und letztendlich effizienteren Vorgehen der britischen Kolonialherren, die nach dem Ersten Weltkrieg das Land von den Deutschen „übernahmen“. In Nachleben schauen wir aber zunächst auf die blutige Zeit der deutschen Kolonisation. Und staunen, dass sich tatsächlich zahlreiche Afrikaner dieser Unterdrückungsmacht freiwillig in einer Kolonialarmee anschlossen. Natürlich wurden auch Männer zum Dienst gezwungen, aber viele der sogenannten Askaris versahen ihren Militärdienst mit einem gewissen Stolz und einer gewissen Bewunderung für die gründlichen, erbarmungslosen Kolonialherren. Meist dauerte diese Begeisterung aber nicht sehr lange an. So auch bei Hamza, einem der Hauptprotagonisten in Nachleben. Hamza hat einiges mit dem Protagonisten in Das verlorene Paradies gemeinsam. So wurde auch er einst von seinem Vater als eine Art „Pfand“ bei einem Kaufmann, bei dem der verschuldet war, zurückgelassen. Aus diesem „Sklavendasein“ erscheint der Dienst als Askari eine willkommene Flucht. Bald lernt Hamza aber die Grausamkeit und den Rassismus der Deutschen Militärs kennen. Sein direkter Vorgesetzter hegt homoerotische Neigungen zu ihm (was der Autor aber nicht näher ausführt), lehrt ihn lesen und schreiben und protegiert ihn. Auch einige Deutschkenntnisse kann Hamza sich hier aneignen. Ein anderer Vorgesetzter hat ihn aufgrund seiner privilegierten Stellung auf dem Kieker und verletzt ihn schließlich schwer. Bei einem deutschen Pastor wird er gesund gepflegt und fast liebevoll umsorgt. Es ist ein großer Verdienst der Literatur von Abdulrazak Gurnah, dass sein Schreiben nie in Schwarz-Weiß verfällt, sondern die gesellschaftliche und politische Komplexität immer im Auge behält und Ambivalenzen zulässt. Wieder gesund, kehrt Hamza in seine Heimatstadt zurück und tritt unter der Vermittlung von Khalifa in den Tischlereibetrieb von Amur Biashara ein. Der Araber Khalifa ist so etwas wie der zweite Hauptprotagonist. Er ist Buchhalter und verheiratet mit der frömmelnden, strengen Bi Asha. Die Beiden sind kinderlos und haben die kleine Schwester von Khalifas Freund Ilyas an Kindesstatt angenommen. Dieser Ilyas ist die dritte Hauptfigur und gleichzeitig die große Leerstelle im Roman. Ilyas ist als ganz kleiner Bub aus seinem armen Elternhaus ausgerissen, wird von Söldnern aufgegriffen und landet schließlich in einer christlichen Missionsschule. Auch er erwirbt hier einige Bildung und vor allem Deutschkenntnisse. Als Erwachsener erfährt er, dass er noch eine jüngere Schwester besitzt, seine Eltern aber inzwischen tot sind. Er macht sich auf die Suche und findet schließlich Afiya. Sie ist es, die er bei seinem Freund Khalifa zurücklässt, als er sich seinerseits der Deutschen Kolonialarmee als Askari anschließt. Während Hamza verletzt, körperlich beeinträchtigt und mit Traumata aus dem Krieg heimkehrt, bleibt Ilyas verschollen. Es kommt zu einer Annäherung zwischen Hamza und Afiya, die Beiden heiraten und bekommen einen Sohn, den sie Ilyas nennen. Und der später - am Ende des Buchs befindet man sich schon in den 1950er Jahren - noch die Spur seines Onkels und Namensvetters, die nach Deutschland führt, verfolgt. Abdulrazak Gurnah hat mit Nachleben ein wunderbar episches, erhellendes und spannendes Buch geschrieben. Seine elegante, eher nüchterne Sprache und der genaue Blick lassen keinerlei Exotik oder Afrika-Romantik aufkommen. Er erzählt differenziert, nachdenklich und zurückhaltend, niemals wertend. Das ist erzählerisch vielleicht ein wenig konventionell, aber dem hochinteressanten Thema der deutschen Kolonialgeschichte absolut angemessen. Die Erzählfäden, die zunächst locker nebeneinander her laufen, verknüpft er geschickt. Ein historischer Roman, wie er sein soll. Und einer, der mit seiner Thematik immer noch hochaktuell ist. Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte hat gerade erst begonnen.
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