Schlesenburg von Paul Bokowski

Paul Bokowski Schlesenburg

"Wie Paul Bokowski uns rauslockt, zum Spielen in den Hof, in die Sehnsüchte und Abgründe der Kindheit, das ist großes Leseglück." Bov Bjerg

Schlesenburg wurde sie genannt, unsere Siedlung am Stadtrand, in der im Sommer 89 die Wohnung der Galówka brannte. Sechzig Familien waren wir, fast allesamt aus Polen. Und plötzlich ging die Angst um, jetzt würden hier bei uns Rumänen oder Russlanddeutsche einziehen. Die halbe Burg schaute mit Abscheu auf das Asylbewerberheim, wo sie alle wohnten, und mit zu viel Stolz darauf, dass man es selber hinter sich gelassen hatte. Es war das Jahr, in dem das neue Mädchen in die Siedlung zog, das Jahr, in dem Darius verschwand, in welchem Mutter nur Konsalik las und ich zu spät begriff, dass Vater mit der ausgebrannten Wohnung seine eigenen Pläne hatte...

„Schlesenburg“ erzählt von Flüchtlingen und ihren Hiergeborenen, von Heimweh und einer neuen Heimat. Ein so warmherziger wie bittersüßer Roman über den Traum von Anpassung und Wohlstand – und die Frage, wo man hingehört, wenn man nicht weiß, wo man hergekommen ist.

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Leserstimmen Das sagen andere LeserInnen

  • Von: Mirjam Lutter

    In diesem autofiktionalen Roman nimmt uns der Autor mit in seine Kindheit in Mainz. Seine Eltern flüchteten von Polen nach Deutschland, als die Mutter mit ihm schwanger war. Nach einigen Monaten in einer Flüchtlingsunterkunft siedelt die Familie in eine Sozialbausiedlung um, in der fast ausschließlich polnische Menschen leben. Er berichtet sehr intensiv und anschaulich von den Widersprüchen zwischen Zusammenhalt und Ausgrenzung, von großen Träumen und herben Enttäuschungen. Mir hat dieses Buch sehr gut gefallen - es hat mich berührt, meinen Horizont erweitert und zum Nachdenken gebracht. Toll fand ich auch, dass der Autor ganz ohne Pathos Gefühle zum Ausdruck brachte und auch der Humor nicht zu kurz kam, so dass die Geschichte nicht zu viel Schwere bekam. Auch aus heutiger Sicht ein spannender Blick auf durch Ghettoisierung erzeugte Parallelgesellschaften, die oft eine ganz eigene Dynamik entwickeln. Ein hochinteressantes, gut lesbares und sehr persönliches Buch mit Tiefgang, das ich euch ans Herz lege!
  • Von: Fraedherike

    „Allen Großen und Alten in der Schlesenburg war der Verlust eine tröstende Gemeinsamkeit. Wir anderen aber waren Keimlinge. Fortgetragen und in frische, aber fremde Erde gesetzt, die kein Gedächtnis hatte. Was uns verband, war allenfalls die Tatsache, dass jede Sehnsucht genau genommen eine Lüge war. Es gab keine klar sichtbare Lücke in mir, keinen Mangel, keine Mulde, nichts. Nur dieses wabernde diffuse Gefühl, dass etwas fehlte. Mein Sehnsuchtsort war keine Erinnerung, der ich hinterherjagen konnte, er war eine Projektion, eine Nacherzählung.“ (S. 136) Eigentlich war alles wie immer in der Schlesenburg. Seit Papa die Wohnung gefunden hat, wir aus dem Asylbewerberheim ausziehen durften, leben wir hier in der Siedlung, am Stadtrand von Mainz. Nebst anderen Flüchtlingen aus Polen. Flüchtlinge… Ich verstehe das alles nicht, das Fliehen, die Angst. Ich bin doch hier geboren. Draußen sitzen die Baranowski-Zwillinge auf der Bank und kauen auf ihren Brotkrumen, machen blöde Sprüche. Niemand konnte sie leiden, die beiden. Mama liegt auf dem Balkon und liest ihre Konsalik-Romane, auch wenn sie ihr peinlich waren. Papa hat eine Leidenschaft für Dosenfleisch entwickelt, überall steht es herum: auf dem Kühlschrank, im Kühlschrank, unter der Bank in der Küche; jedem, der vorbeikommt, schenkt er eine Konservendose. Aber irgendwas liegt in der Luft. Stadtrandangstluft. Brandgeruch. In diesem Sommer würde sich alles ändern, das wurde mir allmählich bewusst. Weil Darius plötzlich weg war. Weil Papa immer wieder versucht, heimlich in die ausgebrannte Wohnung zu steigen. Weil Mama ihre steinglatte Stirn, ihr Gesicht verliert und weint, wenn sie sich unbeobachtet fühlt. Weil dieses Mädchen auf einmal da war. Und dann... "Nur wenn sie weinte, war Mutter macht- und wehrlos. Dann kroch sie wie ein verletztes Tier in eine Nische und heulte sich leise ein. Meist neben den kleinen Schrank im Flur. Dort hockte sie, weinte erst und grämte sich dann, weil es etwas in ihr gab, das sie nicht bändigen konnte. Heimweh." (S. 43) Gerade blätterte ich wiedermals durch die Seiten. Die Eselsohren hatten den Buchschnitt unregelmäßig werden lassen; Zeichen meiner Lesegefühle: Freude über Sprache und Gedanken, die mich innehalten ließen, die Bilder abseits der Geschichte hervorriefen. Die, auch Wochen, Monate später gelesen, noch genau den Moment lebendig werden lassen, als ich zuletzt das Buch in der Hand hielt. Liebevoll und wehmütig erzählt Paul Bokowski in seinem Romandebüt "Schlesenburg" von dem Leben eines Jungen, der gemeinsam mit seinen Eltern, die, als er noch nicht geboren war, aus dem ehemaligen Schlesien nach Deutschland flohen. Einer großen, familiären Gemeinschaft gleich, treten immer mehr Bewohner*innen der Siedlung am Ende des Breslauer Rings ins Blickfeld. Sie alle tragen eine Geschichte in sich, die sie miteinander verbindet, so unterschiedlich sie nach außen hin sein mögen. Und immer wieder erregen sie die Aufmerksamkeit des Jungen: Hibbelig ist er, hin und her springen seine Gedanken und so auch die Erinnerungsfetzen, die er Ästen, sich immer kleiner, weiter auffächernden Zweigen und Blattknospen gleich entlang des Baumstamms, der den tragenden Erzählstrang bildet, entwachsen lässt. Es sind Erinnerungen an das Heimweh und den tiefen Schmerz seiner Eltern und wie es sich in ihrem ihm unerklärlichen Verhalten manifestiert, sichtbar in abgegriffenen Bildern und aufgeregten polnischen Floskeln; an sein "Anderssein", ihn, der er mit fünf Jahren bereits Nachbarn behördliche Briefe vorlesen muss; an seine Freunde Darius und Kuba; an Apollonia, die Licht brachte. An Heimatlosigkeit in der eigentlichen Heimat, Wurzelsuche. Es hat mir gefallen, die Bokowski nach und nach die kleine Welt am Stadtrand immer größer werden lässt, um Menschen, Schicksale und Orte reicher macht. Mit feiner Beobachtungsgabe für die Eigenheiten seiner Protagonisten und einem bemerkenswerten Gefühl für leise und laute Momente sowie das Sichtbarmachen von inneren Kämpfen erzeugt er eine gleichermaßen wärmende wie beklemmende Atmosphäre, lässt doch aber auch immer wieder subtilen Humor durchblitzen. Ein Schmunzeln mit sanften Augen. Es war nicht immer einfach, den springenden Gedanken zu folgen, doch dieser Herausforderung habe ich mich gerne gestellt - und wurde umso reicher beschenkt. Auch wenn sich die Erzählung phasenweise ein wenig zog, in meinen Augen den Fokus verlor, aber das sei nur eine Randnotiz. Der naive, unverständliche Blick durch Kinderaugen sieht manchmal doch eine klarere Sprache, als Erwachsene sie zu sehen vermögen wollen. Ein ergreifender, herbsüßer Roman, der unter die Haut geht.
  • Von: pfaffingers_bibliophilie

    Worum geht´s? Die Schlesenburg ist eine Auffangstation für Gestrandete in Westdeutschland Anfang der 80er Jahre. Eine Plattenbausiedlung, in der die polnischen Geflüchteten unter sich sind und damit hadern, ihre polnischen Wurzeln auszumerzen, um gänzlich deutsch zu werden und das höchste Maß an Anpassungsfähigkeit an den Tag zu legen. Als sich plötzlich Rumänen und Russlanddeutsche in der Siedlung breit machen, schwebt Unmut und Abscheu durch die Burg… Meine Meinung: Tatsächlich hatte ich eindeutig andere Erwartungen an die Geschichte, jedoch bin ich mit der vorliegenden nicht enttäuscht worden. Fast collagenartig schildert das Kind der polnischen Einwanderer von seiner Kindheit in der Schlesenburg, schweift ab, setzt an anderen Stellen wieder an und zieht letztlich doch seinen Kreis zum Kern der Geschichte. Die Handlung, das Erlebte, verläuft ruhig und ohne große Aufregung, was nicht bedeutet, dass dieses Buch kein Zeugnis von Missständen und den harten Umständen des Lebens der Bewohner ist. Neben Anekdoten zur Flucht und zum Leben in der Burg, erfährt man das grundlegende Gefühl von Zerrissenheit der Menschen hier. Sie vermissen ihre Familienangehörigen, die in Polen zurückbleiben, sie vermissen ihre Sprache, ihre Lebensart. Denn all das wird unterdrückt, um nicht aufzufallen, um mitzuschwimmen und in jedem Fall wenigstens besser deutsch zu sprechen als die türkischen Migranten. Die Arbeit in den Fabriken und Werkstätten ist mühsam und eintönig und dennoch schätzen die Bewohner der Burg sich als glücklich, endlich im Land des Wohlstands angekommen zu sein. Ich mochte das Buch, auch wenn ich mich zwischendurch mit dem Schreibstil doch etwas schwer tat. Ich empfehle hier einen Blick in die Leseprobe, denn die Zerrissenheit spiegelt sich hier definitiv im Schreibstil wider. Die sprachlichen Bilder und der gesellschaftliche Blick eines Kindes überzeugte mich hingegen. Fazit: Leseempfehlung, wenn der Blick in die Leseprobe den Schreibstil als angenehm bewertet. Ein tolles Buch über die Zerrissenheit von flüchtenden Familien! Unfassbar wichtig.
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