Salman Rushdie ist einer der Autoren, die seit Jahren auf meiner Leseliste stehen. Bis auf den Kurzgeschichtenband "Osten, Westen" - der vor knapp 6 Jahren das erste nichtwissenschaftliche und nicht-Sachbuch seit Beginn meines Studiums war - kannte ich aber bis vor einigen Wochen nichts von ihm.
"Victory City" beendete Rushdie kurz vor dem fundamentalistisch motivierten Angriff auf seine Person. Und es ist ein monumentales Buch, wirklich. Nicht mal unbedingt, weil es so mitreißt, sondern weil es eine eigene riesige Welt erschafft. Und neben seiner Fähigkeit, Welten zu erschaffen, lebendige Charaktere und spannende Handlungen, wird in dem Buch auch Rushdies Kunstfertigkeit deutlich, gesellschaftskritische Kommentare subtil einzuweben. Denn "Victory City" habe ich längst nicht nur als die fiktionalisierte Geschichte einer der großen mittelalterlichen Städte des Hindureichs, Vijayanagara, gelesen. Märchenhaft und lebendig erzählt Rushdie von der südindischen Stadt, die in "Victory City" zu Bisnaga wird, gestiftet von Pampa Kampana, die nach göttlicher Einflüsterung 250 Jahre lang leben soll und Bisnaga aus dem Nichts erschafft. Rushdie erzählt vom Aufstieg und Fall des Reichs, von internen Intrigen und der zentralen Rolle von Geschichten fürs menschliche Zusammenleben. Pampa Kampana flüstert Bisnagas Bewohner*innen Erinnerungen ein, erhofft sich eine offene, multikulturelle, gleichberechtigte Gesellschaft, sieht zu, was die Menschen daraus machen - und ist damit nicht immer zufrieden. Doch auch ihre Macht hat Grenzen, vor allem, wenn sich die Menschen gegen ihre Schöpferin wenden.
Bisnaga blüht unter multikultureller Offenheit und droht, an religiösem Fundamentalismus zugrundezugehen. Auch Pampa Kampana selbst kennt die Schattenseiten der Religion, da sich in ihrer Kindheit ein vordergründig menschenfreundlicher, religiöser Mönch sich an ihr verging. Ihre Flucht ist die Fantasie, die Erschaffung eines Weltreichs.
Und obwohl das Buch ernste Themen verhandelt und sich dabei intensiv an der reichen hinduistischen Geschichte bedient, behält es eine Leichtigkeit und Lebensfreude, die sich zumindest auf mich beim Lesen übertragen hat. Ich klinge begeistert und ja, klar, ich habe das Buch nicht unvoreingenommen gelesen, weil ich Rushdies öffentliche Wortmeldungen schon immer als sehr bereichernd und reflektiert erlebt habe. Aber dass mir das Buch so gut gefallen hat, liegt vor allem anderen an der Lebendigkeit der von ihm erschafften Welt.
Leider hatte ich teilweise meine Schwierigkeiten, wirklich eingesogen zu werden. Ich habe das Buch eher über mehrere Wochen gelesen und gemerkt, dass man sich, um darin zu versinken, wirklich Zeit nehmen müsste. Vermutlich hätte es mir also noch besser gefallen,hätte ich es nicht parallel zu einer sehr stressigen Arbeitsphase gelesen. In diesem Sinn ist es ein Urlaubsbuch im besten Sinne, denn es ist gleichzeitig alles andere als oberflächlich.
Leserstimmen Das sagen andere LeserInnen
Von: notwithoutmybooks
Von: Britta Buchlingreport
Von: jensis_leseecke
Von: buecherundschokolade
Von: Wolfgang Brunner für Buchwelten