Wir werden erwartet von Ulla Hahn

Ulla Hahn Wir werden erwartet

Der Kampf für die Freiheit

Es sind die wilden 68er – und alles scheint möglich zu sein. Hilla Palm, die junge Frau aus einfachem Hause, ist frei. Frei zu kämpfen. Für die Literatur, die Liebe und eine friedvollere, gerechtere Welt. Doch bald schon kommt zur ideologischen Ernüchterung die menschliche Enttäuschung. Nur über Umwege findet Hilla zu ihrem Glück.

Ein Buch über den Mut, die Gesellschaft und sein Leben zu verändern – ein Buch über die Kraft der Versöhnung.

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Leserstimmen Das sagen andere LeserInnen

  • Von: Ponine T.

    Die Welt steht Hilla Palm offen. Nach langem Suchen hat das Mädchen aus einfachem Hause endlich ihre Heimat gefunden: in der Literatur und Hugo, dem Mann, der Hilla mit all ihren bitteren Erfahrungen annimmt. Zusammen entdecken sie die Liebe und erleben die 68er Jahre, in denen alles möglich scheint. Doch dann durchkreuzt das Schicksal ihre Pläne, und verzweifelt sucht Hilla Halt bei Menschen, die für eine friedvollere, gerechtere Welt kämpfen. Die marxistische Weltanschauung wird ihr zum neuen Zuhause. Beherzt folgt sie ihren Überzeugungen und muss am Ende doch schmerzlich erkennen, dass Freiheit ohne die Freiheit des Wortes nicht möglich ist ... Wohl kaum eine Serie fesselt mich beim Lesen von der ersten Seite an so sehr wie Ulla Hahns autobiographisch geprägte Erzählung über Hilla Palm. Aufgewachsen als Kind eines Arbeiters in einer rheinisch-katholischen Familie begleitet der Leser sie über vier Bände hinweg, wie sie ihren Weg macht und dabei die Kraft des Wortes kennenlernt. So habe ich darauf hingefiebert, endlich den Abschlussband in Händen zu halten und ihm genügend Zeit einräumen zu können. Eine Woche Ferien war dazu notwendig und viel Zeit zum Nachdenken im Anschluss, um das alles zu verdauen, was in den über 600 Seiten auf den Leser einprasselt, ihn hinwegschwemmt und mit Hilla gemeinsam auf die Suche bringt. Am Anfang des Romans begleiten wir Hilla auf einem Weg der Liebestaumelei und der Sicherheit. Die glaubt sie, bei Hugo gefunden zu haben, fernab von der Welt der Eltern. Bei einer Reise nach Rom ist es zum ersten Mal für sie möglich, mit dem Vater einen inneren Frieden zu schließen, ihn zumindest im Ansatz nachvollziehen zu können. Tatsächlich waren die drei Bände zuvor erst einmal die Emanzipation vom Vater, von der eigenen Herkunft, die jetzt auf den Kopf gestellt wird. Als Hugo bei einem Unfall stirbt, bricht Hillas Sicherheit weg. Köln, Dondorf, der Rhein - all das ist belegt mit Vergangenheit, Erinnerung, Vergänglichkeit. Selbst die Wörter gehorchen nicht mehr richtig, gehören nicht mehr Hilla und sind nicht mehr ihre Sprache - zumindest fühlt es sich so an und deshalb bricht sie ihre Doktorarbeit ab. Stattdessen richtet sie sich neu aus, wagt einen akademischen und ideologischen Neustart in Hamburg. Die DKP, die Kommunisten, das ist es, was die Verbindung zum Vater herstellt. Ihre nicht verleugbare Herkunft zu umarmen wird zu Hillas neuer Lebensaufgabe, die sie erst einmal wachsen lässt. Geborgenheit in der eigenen Herkunft finden, wenn man das so sagen kann, ist letztlich Hillas großes Ziel und gelingt ihr vordergründig auch erst einmal sehr gut. Die Szenen mit den Eltern, die sie akzeptieren lernt, mit denen sie erstmals wirklich Gespräche führen kann, sind unglaublich stark geschrieben, sind sehr genaue Beobachtungen und zeigen viel von Hillas Entwicklung. Ebenso sprachgewaltig sind natürlich die vielen politischen Exkurse, die diesmal im Buch warten. Seien es die Diskussionen in den Kommunen zu Beginn des Romans, in denen immer wieder diese herrlichen luftleeren Platitüden aneinandergereiht sind, die mich immer sehr sprachlos zurücklassen, weil ich bereits nach einem halben satz inhaltlich nicht mehr folgen kann, oder die zwar sprachlich einfacheren, inhaltlich aber ebenfalls nur halbgaren Erörterungen zum real existierenden Sozialismus - Ulla Hahn lässt alle zu Wort kommen. Darunter leidet das Buch aber für mich auch ein wenig, denn grade am Ende muss man wirklich Durchhaltevermögen beweisen, weil inhaltlich nicht viel pasiert, aber viel geredet wird, und ich gestehe, dass ich so zwei, drei Seiten nur überflogen habe. Was mir sehr gut gefallen hat, sind die wie auch schon im Vorgänger immer wieder eingestreuten Gedichte von Ulla Hahn, die ihre Entwicklung als Lyrikerin mitzeigen und sie inhaltlich in ihrer Biographie mit verordnen. Und natürlich die Exkurse, in denen Hilla einer namenlosen ältere Frau begegnet, in der man Ulla Hahn erkennen will, die mit ihr über Hillas Leben oder Zukunft reflektiert - eine Metaebene, die das Buch raus aus dem rein autobiographischen Schreiben bringt und stattdessen die Macht des Wortes an sich mit demonstrieren kann, die selbst das Unmögliche möglich machen kann. Ja, ich bin beeindruckt vom Buch. Es ist nicht leicht verdaulich, es ist manchmal sperrig, es ist eine Lust an der Sprache, die man hier erkennt, die man nicht bei vielen Autoren findet. Und es ist genau deswegen nciht nru ein würdiger Abschluss, sondern einfach nur ein unglaublich gutes Buch.
  • Von: Elena

    Auf Ulla Hahns Bücher bin ich erst im Zuge eines Seminars über die DDR und Post-DDR gestoßen und war sofort von ihrer Sprache in den ersten drei Bänden "Das verborgene Wort", "Aufbruch" und "Spiel der Zeit" begeistert! Mit ihrem vierten Band: "Wir werden erwartet" beendet sie nun ihre Tetralogie und autobiographischen Schriften, an denen sie fast 20 Jahre gearbeitet hat. Sie hat hiermit einen würdigen Abschluss ihres Romanzyklus vorgelegt, der dort ansetzt, wo der dritte Roman geendet hat. Hilla Palm, das Alter Ego der Autorin, ist nun mit ihrem Kommilitonen Hugo verlobt und arbeitet in Köln an ihrer Doktorarbeit. Doch Hugo stirbt bei einem Unfall und Hilla stürzt in die größte Krise ihres bisherigen Lebens. Schließlich gelingt es dem alten Pfarrer aus ihrem Heimatort Dondorf, ihr durch Zeichen und Verständnis, so etwas wie Halt und Orientierung zu geben. Auf einer WG-Party lernt sie Marga kennen, die ebenfalls an ihrer Dissertation schreibt und in der sie einen Leidensgenossen gefunden zu haben glaubt. Die Treffen mit Marga sind für Hillas politische Aktivierung, die Lektüre der marxistischen Klassiker und schließlich die Mitgliedschaft in der DKP entscheidend und so landet sie schließlich in Hamburg. Dort glaubt sie zunächst, den richtigen politischen Ort und eine neue Heimat gefunden zu haben. Ihr politisches Engagement bringt sie auch in einen neuen Kontakt mit ihrer Herkunft, mit ihrem Vater und ihrem geliebten Bruder. Nach und nach tauchen jedoch erste Zweifel auf an der Ideologie der Partei, doch es wird einige Jahre dauern, bis sie sich davon befreien kann. Sie bemerkt, dass eine eigene Meinung nicht wirklich erwünscht ist und von ihr verlangt wird, dass sie Zusammenhänge so zu sehen, zu interpretieren hat, wie die Partei es will. Den Rest gibt ihr eine Fahrt zu den Genossen nach Ost-Berlin. Sie erlebt das durchgängige Bespitzelungssystem in der DDR und die Auswirkungen auf die Bevölkerung hautnah. Sie pocht auf ihr eigenständiges Denken und ihre Sprache und will sich das nicht bieten, vor allem nicht verbieten lassen. Die Distanz zu den Genossen wird immer größer, Hilla zieht sich immer mehr zurück und gibt letztlich ihr Parteibuch wieder ab. Und immer wieder schreibt sie Gedichte, versucht in ihrer Sprache eine Heimat zu finden, überzeugt davon, dass es vielleicht eine Welt ohne Gott, nicht aber ohne Wort geben kann. Meine Meinung: Wenn man Ulla Hahns immense Leistungen als Prosaschriftstellerin und Lyrikerin auch nur annähernd begreifen möchte, kommt man an Wir werden erwartet nicht vorbei. Es geht um Sehnsucht und Leidenschaft, um Wahrheit und Glauben, um den Kampf für Gerechtigkeit und den selbstverantworteten Glauben an "Dendaoben" in einer sich verändernden Welt voller Gewalt und Ungerechtigkeit. Und es geht darum, wie Liebe alte Verletzungen heilen kann. Ein, wie ich finde, mal wieder sehr beeindruckender Roman. Ihrem inzwischen gewohnten narrativen Stil bleibt die Autorin treu und ihre Ich-Erzählerin lässt immer wieder Kommentierungen zu. So wie in den ersten Bänden der Trilogie entscheidet sich Hahn auch hier für eine Großstrukturierung ihres Textes in drei Teile: „Der Tod“, „Der Kampf“, und „Das Fest“, die wiederum in viele kleine Abschnitte zerfallen. Im Vergleich zu ihren Vorgängerromanen fand ich diesen ein wenig langatmig und zum Teil stockend und zäh. Aufgelockert wird dieser Eindruck dann aber wieder durch ihren zeitweise ironisch heiteren Unterton, mit denen sie sprachlich in Distanz zu den Inhalten geht. Insgesamt mehr Fahrt nimmt der Text auf, wenn die Erlebnisse während der Reise in die DDR und damit die Konfrontation mit dem real existierenden Sozialismus im Mittelpunkt stehen. Wie immer bei Ulla Hahn ist die poetische Leistung einfach großartig und mir gefallen die eingearbeiteten Gedichte und ihre Sprache sehr. Fazit: Mit diesem letzen Band ist Ulla Hahn eine überaus lesenswerter, jedoch etwas zu langgezogener Roman gelungen, der neben den biografischen Elementen der Hilla Palm und ihrer Familie die Zeit nach 1968 lebendig werden lässt, mit all den langatmigen Diskussionen ums „richtige Leben“. „Wir werden erwartet“ ist ein großer autobiographisch geprägter Roman und ein gelungener Abschluss einer Tetralogie, die sich über die ersten drei Jahrzehnte Nachkriegsdeutschlands erstreckt. Eine wahre Liebeserklärung an die Sprache, ihren Reichtum und ihre Schönheit und ein Loblied des Lebens und dessen, der es schenkt und bewahrt. Heute gibt es für den überaus poetischen Roman aber keine volle Punktzahl, da ich ihre letzten Bände als ein wenig besser und nicht so zäh empfand. Dennoch ein würdiger Abschluss für dieses großartige Lebenswerk.
  • Von: Fräulein Julia

    Mit „Wir werden erwartet“ schließt Ulla Hahn ihre autobiographische Romanserie ab – und erzählt u.a. von ihrer Mitgliedschaft bei der Deutschen Kommunistischen Partei. Als 2001 Das verborgene Wort erschien, ahnte Ulla Hahn selbst nicht, dass sie erst noch drei weitere Bücher schreiben müsste, bis sie zu dem eigentlichen Thema vorstoßen würde: Ihre zeitweilige Mitgliedschaft in der DKP, der Deutschen Kommunistischen Partei. Mit dem neuen Roman Wir werden erwartet dröselt sie nun en detail auf, wie es hatte kommen können, dass sie Anfang der 1970er Jahre das Parteibuch entgegen nahm, um für die Rechte der Arbeiterklasse zu kämpfen und ein paar Jahre später – desillusioniert oder vielleicht auch einfach weiter entwickelt – die Partei wieder verließ. Dabei wirkt ihre Entscheidung – die in den Besprechungen teilweise als lapidare Jugendsünde, teilweise als schamvolles Fehlverhalten abgestempelt wurde – recht schlüssig, hat man zuvor die ersten drei Bände gelesen (und das sollte man!): Als „Kenk vun nem Prolete“ wächst die kleine Hilla Palm, die unschwer als Ulla Hahn zu erkennen ist, in den 40er und 50er Jahre in einem Dorf im Rheinland auf. Die Eltern sind Arbeiter und weniger gebildet, noch vom Krieg geprägt und streng in ihren Erziehungsmethoden. Doch Hilla hat ein ausgeprägtes Gespür für Sprache, liest alles, was sie in die Finger bekommt und schafft es – wenn auch über einige Umwege – das Abitur abzulegen und sich an der Universität Köln für Literaturwissenschaften einzuschreiben. Dort lernt sie auch Hugo kennen, ihre erste große Liebe. Doch Hugo – ach, das verrate ich an dieser Stelle nicht, aber Hugo ist ein Grund, wieso Hilla letztendlich in den marxistischen Kreisen in Köln und später Hamburg landet, in der man sich nächtelang die Köpfe heiß diskutiert, wie man die Situation der Arbeiter verbessern kann – ohne dabei die theoretische Komfortzone zu verlassen. Und wer würde besser in die Partei passen, wenn nicht das „Arbeiterkind“ Hilla, die die Schufterei ihres Vaters, einem ungelernten Arbeiter, aus nächster Nähe erlebt hat? „Bildung vermitteln wollte ich, mich einsetzen für die Möglichkeit der Arbeitenden, daran teilzunehmen. Ich hatte meine Rolle gefunden. Ich wollte den Menschen die Scheu nehmen vor dem, was sie als ’nix für unsereins‘ betrachteten, vor der sogeannten Hochkultur. Ihnen klarmachen, dass auch die Eroberung dieser Schätze ein Stück Klassenkampf war.“ Doch natürlich ist das alles nicht so rosig, wie es in den Diskussionen klingt: Viele aus der arbeitenden Bevölkerung haben besseres zu tun, als sich mit Hochkultur auseinanderzusetzen, der Satz „geh doch nach drüben“ fällt gelegentlich. Als Hilla Ende dann der 1970er Jahre tatsächlich einer offiziellen Einladung nach „drüben“, also in den „real existierenden Sozialismus“ der DDR folgt, fällt ihr idealistisches Bild des Kommunismus zusammen. She’s not amused. Ulla HahnWir werden erwartet, so viel sei gesagt, ist nicht das stärkste Buch aus der vierteiligen Roman-Reihe. Doch wer Hilla Palm über so viele Jahre begleitet, ihren Kampf um das Recht auf Bildung verfolgt, über die wirren Vorstellungen des Kölner Katholizismus geschmunzelt hat und mit ihr über die Sprachbilder gehüpft ist – der wird sich freuen, die einerseits schüchterne, andererseits selbstbewusste junge Frau erneut zu treffen. Ulla Hahn, so scheint es mir jedoch, hat in diesen letzten Band besonders viel an eigenen Erfahrungen, Anekdoten und damals entstandene erste Gedichte einfließen lassen, so dass es gelegentlich schwer fällt, nicht alles eins zu eins auf die Autorin zu übertragen. Sie schildert die Zerrissenheit einer jungen Frau, die die Gesellschaft verändern möchte und doch gleichzeitig stolz darauf ist, endlich dem „Bildungsbürgertum“ anzugehören. Aber die Bemühung, im Rückblick die Wogen ihrer jugendlichen Fehltritte auszubügeln, schwächt die Geschichte. Auch wenn es noch immer eine große Freude ist, Hillas Gedankenstrom zu folgen, so reicht Wir werden erwartet, was die sprachliche Kühnheit und Rafinesse angeht, leider nicht an die vorherigen Romane heran.
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