Nordseeromantik trifft apokalyptische Fantasy - so könnte man Walter Moers´ neuen Roman in einem Schlagwort zusammenfassen. In seinem 10. Zamonien-Roman entführt der Autor nämlich durch die Feder von Hildegunst von Mythenmetz auf "Die Insel der Tausend Leuchttürme", wie die im Nordmeer gelegene Kurinsel Eydernorn im Volksmund genannt wird. Was zunächst nach einer erholsamen Kurreise klingt, entwickelt sich nach und nach zu einem mysteriösen Abenteuer, das erneut mit einem Moer´schen Maß an Fantasie und Kreativität besticht.
Meine Ausgabe ist die neue Taschenbuchausgabe des im letzten Jahr neu erschienenen Romans (der mit dem stolzen Preis von 42€ die Fans nicht gerade fröhlich gestimmt hat). Mit 20€ ist das Taschenbuch zwar immer noch recht preisschwer, die tolle Gestaltung entschuldigt dafür allerdings wieder üppig. "Die Insel der Tausend Leuchttürme" hat mit dem grün gemauerten Hintergrund, der absurde Meereslebewesen zeigt, dem großen gelben Titel inklusive Strandlörper und dem Bull-Auge in der Mitte ein typisches Zamonien-Cover, das wunderbar zu den Gestaltungen der anderen Romane passt. Besonders ist allerdings wieder die Gestaltung im Inneren des Buches und vor allem die vielen Illustrationen.
"Am Fuße des Leuchtturms herrscht die Finsternis, aber darüber strahlt das Licht der Weisheit in der Ferne. Es sendet seine Botschaften von Einsamkeit zu Einsamkeit. Und diese Botschaft lautet: Du bist nicht allein."
Neben einer Karte von Eydernorn enthält das Buch 19 Briefe, die Hildegunst von Mythenmetz während seines Kuraufenthalts an seinen langjährigen Freund Hachmed Ben Kibitzer verfasst hat. Wie üblich nimmt sich Walter Moers dabei aus der Geschichte heraus und inszeniert sich auf einer Meta-Ebene als Übersetzer der Geschichte, der nur mit einem Vorwort und Nachwort die Mythenmetz´schen Briefe abrundet. Ausgeschmückt sind diese wie immer mit zahlreichen Skizzen und Illustrationen, die das Gesehene, wissenschaftliche Beobachtungen, Ideen (MYthenmetzsche GEIstesBlitze; MYGEIBLI) und Abschriften aus anderen Informationsquellen an uns LeserInnen übermitteln. Zusätzliche Informationen gibt es in einem Mittelteil mit Notizen und Skizzen sowie in einem Anhang mit weiteren Illustrationen, die keinem seiner Briefe zugeordnet werden konnten.
"Ik woor Kraakenfieken in de Düjnen!"
Der Menge an Informationen, Details und Vorstellungen, die wir allein durch die Skizzen und die besondere Machart des Romans erhalten, entsprechend ausgestaltet ist auch das Worldbuilding. Eydernorn wird mit so viel Liebe zum Detail beschrieben, dass man sich beinahe selbst auf den gewundenen Pfaden zwischen den Leuchttürmen und den geheimnisvollen in Eydernorner Platt murmelnden Bewohnern wähnt. Der Roman nimmt sich sehr viel Zeit die Geologie, Flora, Fauna, Kulinarik, Kultur und Geschichte dieser besonderen Insel zu erkunden. Egal ob lange Dünenspaziergänge mit Gegenwind, ausschweifende Museumsbesuche, skurrile Behandlungen im Sanatorium, Leuchtturmbesichtigungen, Kraakenfieken-Partien (ein Golfähnlicher Inselsport) oder die kulinarische Verkostung von Tiefseefischen - die Handlung beschränkt sich im ersten Dreiviertel des Buches vor allem auf Dinge, die den Bewohnern von Zamonien als alltäglich erscheinen würde, uns LeserInnen allerdings mit fantasievollem Detailreichtum begeistern. Besonders die Hummdudel und Küstengnome bleiben durch ihre charmante und skurrile Darstellung im Gedächtnis. Zwar mag dieser starke Fokus auf das Worldbuilding für manche LeserInnen zu ausschweifend oder gar langweilig sein, wer sich darauf einlassen kann, wird allerdings mit vielen fantasievollen Ideen belohnt.
"Für eine Reise muss man nicht das Haus verlassen. Die phantastischsten Reisen sind die im eigenen Kopf."
Bis auf Spannungsspitzen wie das der imaginären Kartografie und des Ausflugs zur Stadt ohne Türen, plätschert die Geschichte demnach erstmal lange Zeit gemächlich vor sich hin. Von gelegentlichen Anspielungen oder sonderbaren Vorkommnissen, die jedoch erstmal nicht weiter betrachtet werden, abgesehen, scheint sich die Geschichte auf kein festgelegtes Ziel zuzubewegen. Erst im letzten Viertel wird der Spannungsbogen plötzlich extrem gestrafft, als wir gemeinsam mit Hildegunst die verborgene Wahrheit hinter den Leuchttürmen, den seltsamen Wetterphänomenen und den geheimnisvollen Marotten der Bewohner erkennen. Und bevor man es sich versieht wird aus dem entspannt plätschernden Kurbericht im Handumdrehen eine ausgewachsene, hochspannende Apokalypse. Besonders faszinierend ist dabei, wie der Autor es schafft, die vielen Fäden der Geschichte im Finale zusammenzuführen und rückblickend so manches, was vorher vielleicht überflüssig erschien, in einem neuen Licht erstrahlen zu lassen. Im Zusammenspiel mit dem langsamen Einstieg wirkt der Spannungsbogen sehr unausgewogen, was allerdings sehr gut ins ohne experimentelle erzählerische Konzept passt und dem Ende ein umso größeres Überraschungsmoment verschafft. Klar ist: Nicht jeder wird mit den 450 Seiten einleitender Aufbau für den Showdown mitgehen wollen, für mich war es aber alles in allem ein lohnenswertes Leseerlebnis!
"Ein neues Buch ist wie ein Gewitter. Es baut sich sehr langsam auf, erzeugt bei der Veröffentlichung viel heiße Luft, entlädt sich mit großem Getöse, verändert kurzzeitig die ganze Atmosphäre und lenkt alle Aufmerksamkeit auf sich. Und wenn es vorbei ist, dauert es nicht lange, bis alle es wieder vergessen haben. Das ist auch schon alles, was wir mit unserer Schreiberei erreichen: Das Wetter von gestern."
Das liegt nicht zuletzt auch am kurzweiligen Schreibstil des Romans, welcher in direkter Verbindung zum Hauptprotagonisten Hildegunst von Mythenmetz steht. Als furchtloser Abenteurer, hypochondrischer Forscher und detailverliebter Autor ist er eine der sympathischsten Figuren des Zamonien-Universums und darüber hinaus ein großartiger Erzähler. Selbstironisch, wortgewandt und mit einem scharfen Blick für die Absurditäten der Welt, führt er uns durch dieses Abenteuer und spart dabei nicht mit kreativen Ausschweifungen, Wortspielen, sarkastischem Humor und Mythenmetzschen Geistesblitzen. Auch wenn es nicht sein erstes Abenteuer ist, bekommt er genügend Raum, sich als Figur und Erzählstimme neuen LeserInnen vorzustellen. Zwar stellt er in Form von Fußnoten Verbindungen zu früheren Zamonien-Romane her, die für Kenner eine wahre Freude sind, gibt sich allerdings große Mühe, Neueinsteiger nicht zu sehr zu strapazieren. So kann man auch als Einzelband wunderbar der Geschichte folgen, bekommt allerdings große Lust, auch die früheren Abenteuer des Autors zu lesen!
Fazit
„Die Insel der Tausend Leuchttürme“ ist ein unterhaltsames, fantasievolles Fantasyabenteuer, das jedoch etwas Geduld erfordert. Doch wer sich auf die ruhige Erzählweise einlassen kann, wird mit einem einzigartigen Abenteuer und einem überraschenden Finale belohnt, dass es zu einem klassischen Moers macht: kreativ, chaotisch und voller Überraschungen.
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