Dieses Buch in einer Rezension zusammenzufassen ist nicht einfach. Dabei wäre die Handlung schnell und in einem Satz gesagt: Im Jahr 1899 fährt ein Zug von Peking nach Moskau und benötigt dafür 20 Tage.
Doch das, was während dieser Reise im Zug und in dem Land, durch der er braust, geschieht, das ist so spannend, so mystisch und geheimnisvoll, dass man es in einer Buchbesprechung nicht erwähnen kann, da man sonst viel zu sehr spoilert.
An Bord des Zuges befinden sich neben vielen anderen der Naturforscher Henry Grey, der seinen beschädigten Ruf retten will durch die Entdeckung der Tierwelt des sogenannten Ödlands, eine Frau mit geborgtem, fremden Namen, die den Ruf ihres Vater wiederherstellen möchte, ein junges Mädchen, das nie woanders lebte als in diesem Zug, in dem es geboren wurde.
Der Zug ist, zumindest für die Passagiere der ersten Klasse, sehr luxuriös. Doch vor allem achtet man sehr auf die Sicherheit der Mitfahrenden. So sind die Fenster vergittert, um die Türen öffnen zu können, benötigt man mehrere Schlüssel und Codes. Und die Beauftragten der Companie, die den Zug betreibt, beobachten alles und sind stets zur Stelle, um jemanden zur Ordnung zu rufen. Nicht umsonst nennt Weiwei, das im Zug geborene Mädchen, sie die Krähen.
Die Reise, auf die der Zug sich begibt, ist keineswegs ungefährlich. Das mussten schon die Besatzung und die Passagiere der letzten Fahrt erleben, während der unbeschreibliches geschah. Doch es scheint sich keiner der damals Mitgefahrenen an das Geschehene zu erinnern. So sah es lange so aus, als würde nie wieder ein Zug das Ödland durchqueren, bis eben jetzt zu dieser Fahrt.
Sozusagen als Hilfestellung, als Anleitung oder Benimmbuch, gibt es ein Handbuch eines seither spurlos verschwundenen Autors, ein „Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“, in welchem vor den Gefahren gewarnt wird und Hinweise für den Umgang mit dem, was einem auf der Reise begegnen kann, gegeben werden.
Und da begegnet den Menschen, die sich trauen, aus den Fenstern zu sehen während der Fahrt, ganz Ungewöhnliches, Fremdes, Geheimnisvolles und Gefährliches. Seltsame Pflanzen und Tiere, merkwürdige Phänomene und bedrohliche Angriffe gegen den Zug, all das erleben die Fahrgäste und schließlich wird auch noch das Wasser knapp, ein Umweg muss gefahren werden. Schließlich taucht auch noch eine blinde Passagierin auf.
Die prosaische Leserin versucht zu entschlüsseln, was wohl in dieser Ödland genannten Region vor sich geht, versucht zu verstehen, was die Menschen, die aus dem Zug hinausschauen, sehen und erleben. Die an Magie glaubende Leserin genießt diese Reise einfach und hofft, wohlbehalten anzukommen.
Auch wenn der Roman durchaus ein paar Längen hat, etliches sich oftmals wortgleich wiederholt, manchmal binnen weniger Seiten oder gar Zeilen, so ist das Buch dennoch ungemein fesselnd, hochspannend und emotional. Insbesondere der psychische Aspekt, was die Reise mit den Figuren macht, wie sie agieren und reagieren, wie sie mit Gefahr und Herausforderung umgehen, das ist wunderbar geschildert. Man mag kaum glauben, dass es sich um den Debütroman einer Autorin handelt, für den sie jedoch völlig zu Recht mit Preisen ausgezeichnet wurde.
Erwähnen muss man auch die gelungene Übersetzung, die den fast poetischen Text geschickt ins Deutsche übertragen hat, ohne die Wirkung, die die Worte haben, zu verlieren.
Sarah Brooks - Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
aus dem Englischen von Claudia Feldmann
C. Bertelsmann, Juli 2024
Gebundene Ausgabe, 415 Seiten, 24,00 €
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