Bevor ich mich in die schon vorbereitete Lektüre zu Kulturanthropologie werfe, habe ich als Zwischengang einen Krimi von Fred Vargas gelesen. Hat gut geschmeckt, anfangs eher geschmacksneutral hat sich das Aroma nach und nach entwickelt zu einer ausgewogenen geschmacklichen Komposition mit ungewöhnlichen, überraschenden Noten.
Ich glaube, ich habe ziemlich alle ihre Krimis gelesen, manche auf französisch , manche in deutscher Übersetzung. Frédérique Audoin-Rouzeau, so der bürgerliche Name der Autorin, ist von ihrer Ausbildung her Historikerin und Mittelalterarchäologin mit zusätzlichem Schwerpunkt Archäozoologie. Sie ist nicht eine, die ihre Bücher im Akkord schreibt, sondern eines alle zwei Jahre, höchstens, eher weniger. Auf dieses, 2023 herausgekommene, habe ich daher eine Weile gewartet.
Die Autorin, die aus einer künstlerisch-intellektuellen Familie stammt, ist neben Ruth Rendell und Batya Gur eine meiner liebsten Krimiautorinnen. Diese drei Autorinnen haben gemeinsam, dass in ihren Büchern die Krimihandlung im Grunde nur ein Vorwand für Milieuschilderungen oder Psychogramme ist.
Nach den ersten Seiten dieses Buchs war ich nicht wirklich begeistert. „Naja“, dachte ich „ein Gespenst, ausgerüstet mit einem Stock, das als Ankündiger eines Mordes durch die Straßen schleicht. Da hatte sie aber wirklich schon bessere Ideen“. Aber tatsächlich wird die Handlung zusehends komplexer und spannender und die Auflösung ist äußerst originell und unerwartet.
Dieses Buch mit dem deutschen Titel „Jenseits des Grabes“, ist in deutscher Übersetzung von Claudia Marquardt 2024 im Limes-Verlag, einem Mitglied der Penguin-Randomhouse Gruppe erschienen. Das französische Original 2023 bei Flammarion, Paris. Der französische Titel „sur la dalle“ was in etwa „auf der Steinplatte“ bedeutet, bezieht sich darauf, dass Kommissar Adamsberg seine Betrachtungen anstellt wenn er sich allmorgendlich auf einen Menhir legt. Den deutschen Titel finde ich nicht besonders gelungen.
Vargas bleibt ihrem Muster treu, seltsame, mythologisch anmutende Geschehnisse darzustellen, die dann langsam, mit archäologischer Akribie in ihren wahren Zusammenhang gestellt werden. Manchmal ist der Ort der Handlung Paris, oft andere französische Regionen oder auch andere Länder. „Jenseits des Grabes“ spielt in der Bretagne, in einem kleinen Ort, in dem als besondere Attraktion ein Nachkomme von Chateaubriand lebt, der zu seinem Unglück seinem berühmten Vorfahren wie aus dem Gesicht geschnitten ist, was ihn zu einer Art Touristenattraktion macht. In den Krimis von Fred Vargas tummeln sich immer sehr ungewöhnliche, skurrile Personen. Sie lässt die Skurrilität aber nie in Klamauk umkippen.
In diesem ohnehin schon ungewöhnlichen Ort erscheint nun die Truppe von Kommissar Adamsberg um in mehreren Mordfällen zu eermitteln. Er selbst ist – ganz in der Tradition des zeitgenössischen europäischen Kriminalromans – ein sehr ungewöhnlicher Mensch und seine Truppe steht ihm an Skurrilität in nichts nach. Jede einzelne dieser Figuren inklusive Kommissariatskater wird, man könnte sagen in liebevoller Schonungslosigkeit beschrieben. Viele von ihnen könnten sich aufgrund ihrer diversen psychischen und sonstigen Probleme kaum in ein „normales„ Leben eingliedern, aber Adamsberg führt seine Truppe höchst erfolgreich auf seine Art mit klarem Blick im Nebel und holt aus allen ihre ganz speziellen Qualitäten heraus. Mir kommen Vargas Bücher immer vor, wie ein Plädoyer für die Buntheit und Vielfalt menschlicher Gesellschaften. Eigenschaften, die man auf den ersten Blick eindeutig als Schwächen einstuft, entpuppen sich in manchen Situationen als ganz große Qualitäten.
„Sur la dalle“. „Jenseits des Grabs“ ist nicht Vargas bester Roman, aber doch sehr spannend und auch vergnüglich zu lesen.
Mondgestein bei der UNO
13. Juli 2024 · 4 Kommentare · Bearbeiten
Es sieht mit freiem Auge in keiner Weise spektakulär aus, stammt aber vom Mond. Die Inszenierung sieht auf dem Foto auch auffallender aus als in Wirklichkeit.
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