Regen von Ferdinand von Schirach

Ferdinand von Schirach Regen

Eine ebenso mutige wie sehr persönliche Erzählung, ein literarisches Spiel an der Grenze zwischen Bühnenfigur und Autor.

Ferdinand von Schirachs neues Buch »Regen« ist eine Erzählung in Form eines Theatermonologs, den Ferdinand von Schirach ab Herbst 2023 im Rahmen einer großen Premierentournee auf zahlreichen deutschen Bühnen selbst sprechen und aufführen wird: Ein Mann kommt durchnässt aus dem Regen in eine Bar – auf die Bühne – und denkt über Verbrechen und Strafen nach, über das Großartige und das Schreckliche unserer Zeit, über die Würde des Menschen, die Einsamkeit, die Liebe, den Verlust und das Scheitern.

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Leserstimmen Das sagen andere LeserInnen

  • Von: ein.lesewesen

    »Sehen Sie, wir können jedem vergeben. Unseren Eltern, unseren Kindern, unseren Freunden und selbst unseren Feinden. Nur uns selbst können wir nicht vergeben, das ist nicht möglich. Niemand kann sich selbst seine Schuld erlassen, das kann nur der Gläubiger tun. Ihre eigene Schuld verjährt nicht. Damit müssen Sie leben. Oder auch nicht.« S.19 Wir begegnen einem namenlosen Mann an der Bar, der vor dem Regen geflüchtet ist. Als Schöffe hat er gerade seinen ersten Verhandlungstag hinter sich gebracht. Doch das Verbrechen ist nur der Auslöser für einen gedankenschweren Monolog, in dem er über Schuld und Vergebung sinniert, über den Menschen an sich. Eigentlich ist er Schriftsteller, zumindest hat er ein Buch geschrieben, für die Liebe seines Lebens. Doch alles lief anders als gedacht. »Seit 17 Jahren bin ich ein durch und durch lächerlicher Schriftsteller, der nicht mehr schreibt. Ich gehe trotzdem jeden Morgen rüber ins Schreibzimmer. Die Menschen wollen ja immer etwas sein, was sie nicht sind. Ich sitze dann am Schreibtisch und trinke Kaffee und rauche und schreibe nichts. Als das bei Hemingway so war, ging er nicht mehr in eine Bar. Er schoss sich den Kopf weg. Das kann ich verstehen, weil der Kopf ja sowieso schon weg ist.« S.28 Unser namenloser Protagonist hadert mit seinem hoffnungslosen Leben, mit seinem Scheitern, mit Verlust und Einsamkeit. Er reflektiert über Gutes und Schlechtes in unserer modernen Gesellschaft. Nun ist die Kurzgeschichte in Form eines Theatermonologs noch kein Buch, also bekommen wir noch ein Interview mit dem Autor, das zwar bereits in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde, ich aber noch nicht kannte. Hier spricht von Schirach sehr offen über sein Leben als Schriftsteller, seine Depression und seinen Umgang damit. Die Themen aus dem Interview verbinden sich mit denen in der Geschichte und bilden für mich eine Einheit. Ich fand es sehr interessant, mehr über den Menschen hinter den Büchern zu erfahren. »Ich schreibe jeden Absatz 30-, 40-, 50-mal um. Es geht darum, dass am Ende der einfachste Satz übrig bleibt. Nur das, was man einfach sagen kann, ist wahr. Es geht um das einfachste, klarste Wort, das Sie finden können.« S.63 Genau das macht von Schirach für mich aus, die glasklare Reduktion, ein Text in seiner ganzen Schlichtheit, der Raum lässt für eigene Gedanken und Reflexionen. Das Büchlein – sei es auch noch so dünn – hat einige Gedankenanstöße in mir ausgelöst und ich werde es sicher noch ein zweites Mal lesen. Man darf gespannt sein, wenn von Schirach ab Oktober damit durch Deutschlands Theater tourt und seinen eigenen Protagonisten in persona auf der Bühne verkörpert. Meine Bewertung bezieht sich allein auf den Inhalt, nicht den Umfang des Buchs. Da es ein eigenständiges Theaterstück ist, lässt es sich sicher nicht in mit anderen Kurzgeschichten kombinieren und hat daher eine Daseinsberechtigung als eigenständiges Werk. Ob man bereit ist, dafür das Geld auszugeben, muss jeder selbst entscheiden, denn 20 Euro sind viel Geld. Mir ist es das auf jeden Fall wert.
  • Von: Patricia Nossol

    „Ich schreibe jeden Absatz 30-, 40-, 50-mal um. Es geht darum, dass am Ende der einfachste Satz übrig bleibt. Nur das, was man einfach sagen kann, ist wahr. Es geht um das einfachste, klarste Wort, das Sie finden können.“ (Ferdinand von Schirach aus dem Interview mit Sven Michaelsen, Auszug aus dem Buch) Und genau diese Perfektion beim Bilden von Sätzen spürt man in jeder Zeile dieses Theaterstücks. Es geht um einen Schriftsteller, der seit langem nichts mehr geschrieben hat. Er ist am liebsten mit sich allein, liebt die Ruhe und meidet die Nähe zu anderen Menschen. Als eben dieser zum Schöffen berufen wird, versucht er zu verdeutlichen, dass er für diesen Job ungeeignet ist. Schon am ersten Verhandlungstag in einem Strafprozess wird er wegen Befangenheit abgelehnt. Vom Regen durchnässt, sinniert der Schriftsteller in einer Bar über die Schuld, den Tod und die Wirren unserer Zeit. Er setzt sich mit Verlust, Einsamkeit und der Liebe auseinander. Auf 57 Seiten versteht es Schirach meisterlich, seine Leser in Denkprozesse zu verwickeln. Folgt man seiner Argumentation gedanklich, wird man im nächsten Moment mit einer anderen Sichtweise konfrontiert. Zwischendurch schwingt ein Hauch von Melancholie mit. Nachdenklich fliege ich durch die Seiten. Da ich ebenfalls als Schöffin tätig bin, kann ich nachempfinden, wie sich der Schriftsteller fühlt. Das Theaterstück wirkt wie ein Potpourri aus den vorangegangenen Büchern „Verbrechen“, „Schuld“, „Strafe“, „Die Würde des Menschen ist antastbar“ usw. Aber es geht auch um das Schreiben. „Wenn man schreibt, ist man alleine. Etwas anderes ist gar nicht möglich. Das Schreiben ist kein demokratischer Prozess. Es ist das Gegenteil. Aber später gehören die Bücher nicht mehr dem, der sie geschrieben hat. Sie gehören jetzt dem, der sie liest. (Auszug aus dem Buch) Im anschließende Interview zeigt sich ein eindrucksvolles Bild über den Menschen Ferdinand von Schirach. Er ist ein begnadeter Erzähler, aber auch ein eigenwilliger Kauz. Vermutlich kein einfacher Interviewpartner! Das Büchlein ist hochwertig verarbeitet, aber dennoch beschleicht mich das Gefühl, dass man hier mühsam versucht hat, Seiten zu füllen. Da das Interview bereits in der „Süddeutschen Zeitung“ erschienen ist und sich das Theaterstück auf 57 Seiten beschränkt, stellt sich für mich die Frage nach dem Preis-Leistungs-Verhältnis. 20 Euro für dieses kleine Buch halte ich für überteuert. Wer die vorangegangenen Bücher von Schirach gelesen hat, wird der einen oder anderen Passage in ähnlicher Art schon einmal begegnet sein. Trotzdem ist das Theaterstück lesenswert, auch wenn das Buch insgesamt eher eine Mogelpackung ist. Ich würde auch gerne den Autor persönlich als Schauspieler seines Stückes erleben. Mit so wenigen prägnanten Sätzen, so viel zu sagen, vermag nur Ferdinand von Schirach.
  • Von: mitkaffeeundkafka

    Ich hatte mich auf die Neuerscheinung »Regen« von Ferdinand von Schirach gefreut. Was mir direkt aufgefallen ist: Diese schmale Büchlein umfasst 107 Seiten – davon machen 57 Seiten den eigentlichen Text Schirachs aus. Auf den restlichen Seiten befindet sich ein Interview, welches in gekürzter Form im September 2022 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist. In dem Text geht es um einen Mann, der sich vom Regen durchnässt in eine Bar setzt und einen Monolog führt. Der Mann wurde gegen seinen Willen in einem Strafprozess zum Schöffen berufen. Er berichtet von seinem ersten Verhandlungstag, doch der Fall erscheint fast nebensächlich. Schnell wird deutlich, dass der Mann in seiner eigenen Trauer gefangen ist und sich für den Tod eines geliebten Menschen die Schuld gibt. Wie man es aus Schirachs anderen Werken schon kennt, spielen existenzielle Fragen eine große Rolle. So werden in gewohnt klugen und nüchternen Sätzen über schwere Themen wie Schuld, Vergebung, Verlust und Scheitern sinniert. Dabei sitzt jedes Wort, jeder Satz präzise. Das Leitmotiv dieses Textes wird für fleißige Schirach-Lesende vermutlich nicht neu sein. Das anschließende Interview spiegelt einige Thesen des Textes wider und gibt viele persönliche Einblicke in Schirachs Leben. Auch wenn ich »Regen« grundsätzlich gerne gelesen habe, hinterlässt es bei mir einen bitteren Beigeschmack. Der kurze Text war schnell gelesen und das in etwa gleichlange Interview wirkte auf mich leider wie ein Seitenfüller. Ich habe das Buch als Rezensionsexemplar umsonst bekommen. Es kostet 20 €. Ist es das wert? Ganz ehrlich: Nein, ich finde das zu überteuert. Ihr seid Schirach-Fan und möchtet sein neues Werk in eurer Sammlung haben - fair enough. Ansonsten investiert diese 20 € lieber anders.
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