Monte Verità von Stefan Bollmann

Stefan Bollmann Monte Verità

Von Aussteigern, Veganern und Lebenskünstlern

Das 20. Jahrhundert ist noch kein Jahr alt, da macht sich eine Gruppe junger Aussteiger nach Ascona an den Lago Maggiore auf und gründet eine Kommune auf dem Monte Verità – dem Berg der Wahrheit. Sie träumen den Traum vom wahren Leben, ernähren sich vegan, tanzen, propagieren die freie Liebe und verehren das Licht des Südens. Schon bald verbreitet sich ihr Ruf in der ganzen Welt und immer mehr Literaten, Künstler, arme und reiche Bohemiens folgen ihnen ins Tessin: Erich Mühsam, Hermann Hesse, Käthe Kruse, Marianne von Werefkin und viele andere.
Das mitreißende Panorama der ersten modernen Gegenkultur – faszinierend und unterhaltsam.

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Leserstimmen Das sagen andere LeserInnen

  • Von: Ponine T.

    Das 20. Jahrhundert ist noch kein Jahr alt, da macht sich eine Gruppe junger Aussteiger nach Ascona an den Lago Maggiore auf. Sie gründen den Monte Verità, den Berg der Wahrheit. Ihre Agenda: in der Natur leben, sich vegan ernähren, freier lieben, sich selbst verwirklichen. Schnell verbreitet sich ihr Ruf nach Berlin, München, Genf und St. Petersburg. Erich Mühsam kommt, völlig blank, mit dem schönen Dichter Johannes Nohl im Schlepptau, doch er verträgt das vegetarische Essen nicht. Käthe Kruse tanzt mit ihrem unehelichen Kind an Weihnachten ums Feuer. Hermann Hesse flüchtet sich vor dem Alkohol nach Ascona und gräbt sich in die Erde ein. Marianne Werefkin malt über sechshundert Bilder. Mary Wigman folgt ihrem Lehrer Rudolf von Laban auf den Berg und bringt diesen mit ihrem Tanz an die Sonne zum Beben. Stefan Bollmann erzählt von den Lebensreformern und der faszinierenden Aktualität ihrer Ideen bis heute. divider-greyEs war das Titelbild, das mich direkt angesprochen hat an diesem Buch. Diese sehr abgedrehten Ausdruckstänzerinnen und die grüne Wiese. Und dann natürlich die Neugier, denn über den Monte Verità bin ich bisher noch nie gestolpert, dieses ganze Konzept war mir neu. Deswegen bin ich vielleicht auch genau der Leser für dieses Buch geworden, das einen ersten kurzen und durchaus kurzweilige Eindruck über den Versuch vermittelt, das bürgerliche Leben des Kaiserreichs neu zu ordnen. Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich wirklich fasziniert bin von diesen Gedanken, die die vier Gründer damals nach Italien geführt haben. Stefan Bollmann versteht es, die durchaus befremdlich formulierten politischen Ideen über FKK, Vegetarismus und Anarchie erklärbar einzuordnen. Dass für Ida Hofmann der Verzicht auf Fleisch einhergeht mit der Befreiung der Frau wirkt so verkürzt ausedrückt absurd - dass aber die Frau beim Kochen entscheidet, was auf den Tisch kommt, und der Verzicht auf Fleisch auch beeutet, sämtliche bisherigen Essgewohnheiten zu hinterfragen, erklrt ihre Gedanken vielleicht für heutige Leser etwas besser. Was erst einmal wie eine Schnapsidee gelangweilter Bürger klingt, war 1900 tatsächlich ein revolutionärer Ansatz, der dann erst wieder sehr viel später aufgegriffen wurde. Wer das Buch liest, könnte nach einigen Seiten versucht sein, sich eine "Best of 1970s"-Playlist im Hintergrund einzustellen, denn sehr oft hatte ich beim Lesen das Gefühl, dass hier grade meine Eltern aus der Kommune berichten. Inklusive politischer Diskussionen, in denen ein großes Fremdwort ans andere gereiht wird und die Diskutanten so überzeugt davon sind, ihre Positionen durchzukämpfen, dass man mitunter nicht mehr folgen kann vor lauter Schlagworten. Bollmann bleibt in seinem Buch sehr stark an der Oberfläche. Er schildert natürlich Anekdoten und charakterisiert vor allem die vier Gründer, er schildert hier und da das Leben auf dem Berg. Dazu analysiert er, wie sich in unserem heutigen Alltag sehr viele der Gedanken des Monte Verità wiederfinden oder bis heute gehalten haben, ohne dass man deren Hintergrund wirklich kennt. Doch fehlt mir ein wenig der tiefere Einblick in das alles, dem Buch fehlt im wahrsten Sinne das Fleisch auf den Knochen. Das fängt mit der, wie ich leider finde, rcht dürftigen Bildauswahl an, die hier und da mal im Buch auftaucht, Es liefert intereessante Einstiegsinformationen, allerdings bin ich ihm sehr dankbar für das umfangreiche Literaturverzeichnis, mit dem man dann tiefer ins Thema einsteigen kann. Und das werde ich auf jeden Fall gerne machen!
  • Von: Visal

    Monte Verita 1900 – der Traum vom alternativen Leben beginnt Wie stellt ihr euch eigentlich die 1900er vor? Möglichst traditionell, religiös und langweilig. Was zum Teil auch stimmen mag. Aber Stefan Bollmann erzählt eine Gruppe von Leuten, die fast moderner als die 1968er sind und ihren Traum vom alternativen Leben ermöglichen. Sie leben in der Natur, ernähren sich vegetarisch und zum Teil auch vegan und leben viel freier. Sie sind die Vorfahren der 1968er und ihr Einfluss auf die Hippie Bewegung und Lifestyle ist kaum zu übersehen. Ein Leben in der Natur, ohne Korsett und Highheels, mit Luft, Liebe und reiner Kost, was auch „Sonnenlichtnahrung“ genannt wird. Im Laufe der Zeit kamen zahlreiche Schriftsteller und Künstler wie Erich Mühsam um Hermann Hesse, der sich einen Sonnenbrand beim Nacktbaden holte. Ich bedanke mich bei Stefan Bollmann für dieses informative Buch über eine Gruppe, die unbekannt oder in Vergangenheit geraten ist. Sicherlich hat die Recherche des Buches viel Zeit in Anspruch genommen was nur respektiert werden kann. Absolut empfehlenswert für die, die sich für die verschiedene Bewegungen wie 1968er oder Hippies interessieren.
  • Von: artWORDising Diana Wieser

    Sie sind langhaarig, Vegetarier, Aussteiger, praktizieren freie Liebe und nacktes Sonnenbaden: Nein, die Rede ist nicht von den 1968ern. Die Rede ist von den Bewohnern des Monte Verità, jenem Ort über dem Lago Maggiore bei Ascona, der zwischen 1900 und 1920 Hotspot von Anarchisten, Rebellen, Freidenkern, Künstlern und Naturmenschen war. Körper, Geist und Seele wieder in Einklang bringen. Raus aus dem steifen Korsett, den industrialisierten und verdreckten Großstädten. Rein in eine Selbstversorger-Kommune, die Freiheit und Selbstentfaltung verspricht. Stefan Bollmann folgt der illustren Gründertruppe und ihren Gästen, von Hermann Hesse bis Käthe Kruse. Er zeigt, dass das Vermächtnis des Monte Verità noch Generationen später weltweit Früchte trägt. Sogar sprichwörtlich: Denn ohne diese Reformbewegung hätte Steve Jobs seine Firma nicht Apple genannt! Dies ist nur eine der vielen kleinen, verblüffenden Geschichten, denen Stefan Bollmann in seinem Buch nachspürt. Zunächst zeigt er die Anfänge der alternativen Lebenskommune. Sechs Mitglieder - die Musikerschwestern Ida und Jenny Hofmann, der demissionierte Soldat Karl Gräser und sein jüngerer Bruder Gustav, der reiche Industriellensohn Henri Oedenkoven und die getürmte, esoterisch interessierte Bürgermeistertochter Lotte Hattemer haben keine Lust mehr auf die bürgerliche Enge des deutschen Kaiserreichs. Sie träumen von einem freien Leben, im Einklang mit der Natur. Doch bald zerfällt die Gruppe in „Realos“ und „Radikale“. Karl und Jenny hausen am Fuße des Berges in Höhlen und lehnen jegliche Art von Fortschritt ab. Henri und Ida, die eine freie „Reformehe“ führen, wollen einen modernen Kurbetrieb auf dem „Berg der Wahrheit“ errichten, der auch Gewinn abwerfen soll. Lichtlufthütten sowie ein nahezu eckenloses Zentralgebäude mit Bibliothek, Vortrags- und Musikzimmern werden erbaut. Im Folgenden wird auf dem Monte Verità geliebt, gehasst, gestritten. Politische Umwälzungen werden diskutiert und Psychoanalysen betrieben, während man sich textilfrei sonnt oder eigenes Obst und Gemüse anbaut. Dabei zeigt Bollmann auch das Scheitern der Figuren. Freie Liebe schützt vor Syphilis nicht, mancher Seelenstriptease endet gar in Irrsinn und Freitod. Ideologien drohen ins Sektenhafte abzugleiten. Auch finanziell wirft der Monte Verità nicht den erhofften Erfolg ab. Der kreative Sog der Vegetarier-Kolonie ist jedoch unumstritten, die Prominenz lässt nicht lange auf sich warten. Hermann Hesse flüchtet hierher, weil er die Verantwortung des Familienlebens nicht mehr ertragen kann. Der Anarchist Erich Mühsam frönt in Ascona nicht nur homoerotischen Abenteuern, sondern schnorrt sich rigoros durch alle Gesellschaftsschichten. Mit Anarchie ist einfach kein Brot zu verdienen… Daneben wird der Monte Verità eine Wirkstätte von starken Frauen, die auch ohne Mann ihren Weg gehen. Da ist Käthe Kruse, die sich mit ihren beiden Töchtern niederlässt. Ihr Geliebter, der fast dreißig Jahre ältere Berliner Bildhauer Max Kruse, will sich nicht zu ihr bekennen. Die alleinerziehende Mutter entwirft auf dem „Berg der Wahrheit“ ihre weltberühmten Puppen, die aus weichen, natürlichen Materialien hergestellt und anders als ihre steife, porzellanartige Konkurrenz endlich auch zum Kuscheln geeignet sind. Malerin Marianne von Werefkin produziert über 600 Bilder auf dem Monte Verità. Die chronisch überschuldete Bohemienne Franziska zu Reventlow beschließt, ihren Lebensunterhalt endlich selbst zu verdienen und schreibt drei Romane. Ihre erfolgreichste Zeit hat die Kolonie zwischen 1913 und 1919, als Rudolf von Laban eine Tanzschule auf dem Monte Verità betreibt, wo er modernen Ausdruckstanz lehrt – heute würde man ihn als „Contemporary Dance“ bezeichnen. Auf legendären Sommerfesten geraten junge Tänzerinnen in Ekstase, huldigen durch ihre Aufführungen dem Lauf der Sonne. Dies brachte der Kolonie den Namen „Balabiòtt“ seitens der Einheimischen ein – die tanzenden Nackten! Es war eine aufregende Zeit, die den Grundstein für Entwicklungen gelegt hat, die uns noch heute beschäftigen. So verpasst es der Autor nicht, immer wieder Bezüge zur jetzigen Gesellschaft herzustellen. Und er verdeutlicht die Zusammenhänge: Was war an dem Monte Verità so revolutionär? Nach der Lektüre dieses Buches weißt der geneigte Leser um die Zusammenhänge zwischen Vegetarismus und Feminismus, Theosophie und Psychoanalyse, Körperkultur und Industrialisierung sowie Ausdruckstanz und Okkultismus. Wer Lust bekommen hat, mehr in die Materie einzutauchen, kann dies tun: Seit Mai 2017 gibt eine Dauerausstellung in der restaurierten Casa Anatta auf dem Monte Verità Einblicke in die bewegenden Umbruchjahre seiner ganz besonderen Bewohner. Schön, dass sich Autoren und Historiker dieser spannenden Epoche angenommen haben. Denn der Traum von alternativen Leben ist bis heute nicht ausgeträumt…
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