Übersetzt von Sibylle Schmidt
"Man wird singen über ihre Mutter, die Königin, verführt von einem Gott, über ihre Brüder, Ringkämpfer und Rossebändiger, über ihre eitle Schwester Helena, die ihren Gatten verließ, über Agamemnon, den stolzen Löwen von Mykene, über den weisen, vielgestaltigen Odysseus, über den verräterischen verfluchten Aigisthos, über Klytämestra, die grausame Königin und untreue Gattin.
Doch das ist nicht von Bedeutung. Sie war dabei. Sie weiß, dass Lieder niemals die Wahrheit sagen."
(S.540-41)
Ich lese die letzte Seite von "Klytämnestra", atme tief durch, lege das Buch weg und möchte alles gleichzeitig machen. Ich möchte alle Bücher, die noch ungelesen in meinem Regal warten über die griechische Mythologie lesen und dann noch einmal die, die ich schon gelesen habe. Ich möchte wieder einmal nach Griechenland, dieses Mal noch genauer hinsehen in die geschichtsträchtige und bedeutsame Vergangenheit des Landes, vielleicht auch auf den Spuren einiger Namen wandeln, am liebsten das Geschichtsstudium noch einmal machen und ein bisschen dankbarer sein für alles, was man gelernt hat. Und ich muss zugeben, so frisch nach "Klytämnestra" bin ich verdammt nahe dran zum ersten Mal "Troja" zu schauen. Costanza Casati hat jedenfalls meine Begeisterung für die griechische Mythologie neu entfacht aber vor allem hat sie eine großartige, eine mitreißende, eine intensive und unfassbar spannende Neuerzählung von "Klytämnestra" gewagt, die unglaublich gut gelang. Den Namen "Klytämnestra" habe ich vor diesem Buch zum ersten Mal gehört, was leider nicht für die Geschichtsschreibung spricht aber typisch ist für gesellschaftliche Vergangenheit und Gegenwart. Doch glücklicherweise hat Casati ihr in ihrem Roman eine Stimme gegeben und zwar nicht nur eine, die sich Gehör verschafft, sondern auch eine, die tief ins Innere der Königin von Mykene blicken lässt und sie, die bekannt war für begangene Rache, Hass und Untreue in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Klytämnestra wächst als Tochter des Königs von Sparta auf. Sie scheint ein freies Leben zu führen, was bei den Frauen in Sparta damals auch üblich war. Sie gehört zu den besten weiblichen Kämpferinnen und hegt ein besonderes Verhältnis zu ihrer Schwester, der schönen Helena. Auch vor einer angedachten Heirat wird Klytämestra gefragt, ob es ihr freier Wille sei diesen Mann zu heiraten. Doch in dem Moment, in dem sie glaubt, dass ihr Leben vor Glück erfüllt ist, wird Klytämnestra klar, dass sie nur ein Spielball in den Mächteverhältnissen männlicher Machtgier ist.
"Klytämnestra" war wild, gerade zu Beginn der Geschichte, wenn man noch nicht mit viel rechnet und auch im Verlauf war es an einigen Stellen sogar schwer zu ertragen, doch es ist dieser unglaubliche Charakter, diese großartige erzählte Frauenfigur, diese unglaubliche Königin, die das Buch von der ersten Seite an trug und völlig zurecht zu dessen Hauptfigur gemacht wurde. Denn "Klytämnestra" war so viel mehr als eine ehebrechende Frau, die bloß von Rachegefühlen geleitet wurde. Sie war empathisch, sie war klug und gerissen, sie war gütig und verlor nie das, was wichtig war aus dem Blick. Sie war mutig stark, treu und von einer so irrsinnig großen Liebe getrieben alle die, die sie im Herzen trug zu beschützen. Sie hatte aber auch Fehler, die sie aber immer selbstreflektierend sah, beurteilte und versuchte es besser zu machen und aus ihren Fehlern zu lernen. Und sie vergaß nicht, nie. Es war so ein großes Glück diese Geschichte aus Klytämnestras Sicht zu erzählen, denn sie brauchte das alles gar nicht, diese typisch griechisch-mythologischen Erzählstränge. Natürlich spielen die Götter auch hier eine Rolle, indem sie zahlreich erwähnt werden. Doch greifen sie nie in die Geschichte ein, alles spielt sich in Casatis Roman fast schon auf rationaler Ebene ab, die Götter spielen eher in den Köpfen und Erzählungen der Menschen eine Rolle und manchmal führt das ins Verderben, doch die Geschichte kommt ganz ohne göttliche Eingriffe aus. Und dadurch zeigt sich eben auch viel deutlicher, wie viel unsinnige Gewalt in den Köpfen der Menschen entsteht, die fernab jeglicher Rationalität ist und Gewaltverbrechen verübt werden, die mit den 'Willen der Götter' oder höheren Mächten relativiert werden. Ein Verhalten, das sich übrigens bis in unsere Gegenwart gezogen hat.
Auch der trojanische Krieg wird zur Mitte von "Klytämnestra" thematischer Bestandteil der Geschichte, doch auch hier nimmt dieser glücklicherweise nur eine Randnotiz ein. Denn wir folgen als Leser:innen keinem von der Geschichte betitelten Helden in den großen Kampf nach Troja. Wir bleiben im Palast bei Klytämnestra, Königin von Mykene. Völlig zu Recht, denn hier werden wir Zeug:innen wie sie befreit von männlicher Unterdrückung ihr Volk regiert, sich gegen jegliche Widerstände durchsetzt und immer mehr Achtung erhält.
"Klytämnestra" ist dieses Kunststück gelungen. Es gibt keine von göttlichen Fügungen durchziehenden Handlungsstrang, der große Krieg findet fern von den Palastmauern statt und bricht hier höchstens mit der ein oder anderen Botschaft eines Boten ein und das braucht es auch nicht für die Handlung. Es ist unsinnig, denn Klytämnestras unbändiges Wesen reicht völlig alleine aus, um diese großartige Neuerzählung zu tragen. Und das war höchste Zeit, denn dieser Frau musste dringend eine Bühne geboten werden.
"Menschenleben sind nicht denkbar ohne Leid. Aber wenn es ein paar Momente Glück gibt, Lichtblitze, die den düsteren Himmel erhellen, hat sich ein Leben gelohnt."
S. 538
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